„Der Vertrieb ist der Schlüssel. Und der hat sich radikal verändert.“

Die aus dem Unternehmen Josef Kanz hervorgegangene Unternehmensgruppe Kanz Financial Holding zählt zu den größten Unternehmen in der europäischen Kinderbekleidungsbranche und verfügt heute nach einer schnellen Abfolge von Zukäufen innerhalb der letzten drei Jahre über 15 Marken. Neben Eigenmarken wie döll, Kanz und Lemmi fertigt das Haus Lizenzen von Geox, Marc O’Polo Junior und Steiff Collection.

Das Unternehmen ist in vier Geschäftsbereiche untergliedert: die Kids Fashion Group mit dem Baby- und Kleinkindbereich, die Junior Brands Group mit dem Kinder- und Teensbereich, bellybutton und die Kids Retail Group, die die Aktivitäten im Shop-Bereich bündelt. Der Konzern wird von Harald Hepperle gemeinsam mit dem Hauptgesellschafter Özgür Kemal Bender geführt. Das Unternehmen gestaltet, produziert und verkauft seine Marken international an mehr als 3.000 Verkaufsstellen, darunter circa 300 eigene Läden. Die Gruppe kommt auf etwa 750 Mitarbeiter.

Anlässlich der internationalen Messe­runde besuchte Childhood Business das Unternehmen und sprach mit dem CEO Harald Hepperle über auskömmliche Unternehmensgrößen, die Probleme der Handelsvertreter und internationale Wettbewerber.

Harald Hepperle (50) beriet zunächst als Managing Partner der Unternehmensberatung Hachmeister + Partner den damaligen Inhaber Markus Kanz und seinen Partner Özgür Kemal Bender. Er stieg 2010 zur Umsetzung der Unternehmens­strategie als geschäftsführender Gesellschafter der heutigen Kanz Financial Holding in das Unternehmen ein. Hepperle ist Vater von zwei Kindern.

Childhood Business: Sie hatten 2014 einmal gesagt: Wir bewegen uns in einem der schwierigsten Marktsegmente –preissensibel, hart umkämpft, sehr verdrängungsreich und zudem stagnierend. Wie sieht es Mitte 2016 aus?

Harald Hepperle: Das Zitat gilt heute noch immer in ähnlicher Form. Die Konsolidierung ist sicherlich ein bisschen weiter fortgeschritten, die Vertriebskanäle haben sich weiter verschoben und das Volumen ist nicht dramatisch zurückgegangen. Doch der Preisdruck und der der Verdrängung sind weiterhin hoch.

CB: Haben Sie es in der Nachfrage gespürt, dass die Geburtenzahlen wieder angestiegen sind?

HH: Nein. Aber wir haben es auch nicht gemerkt, als sie rückläufig waren. Für uns spielen die Effekte unserer eigenen Unternehmenskonjunktur eine größere Rolle als die der allgemeinen Branchenentwicklung. Generell ist die Ausgabenbereitschaft in bestimmten Schichten gestiegen. Und es zeigt sich, dass sich heute – auch wenn die Anzahl an Geburten lange rückläufig war – einfach mehr Erwachsene um die Kinder bemühen. Die Ausgaben pro Kind sind daher eher gewachsen. Heute stellen nicht nur Eltern, sondern auch Großeltern, Onkel und Tanten wichtige Käufergruppen dar.

CB: Wie unterschiedlich sind die nationalen Vorlieben?

HH: Jeder Markt hat im Kinderbereich seine Spezifika. Und es ist fast unmöglich, mit einer Kollektion sowohl national als auch international erfolgreich zu sein. Selbst eine Moncler sieht in Italien anders aus als in Deutschland. Und die halte ich für eine der sicherlich internationalsten Kollektionen, die es derzeit gibt. Wenn wir mit unseren Kollektionen nach Frankreich oder Spanien gehen, dann stellen auch wir fest, was alles anders ist. Es fängt schon beim Farbempfinden, bei Farbkombinationen an. Es gibt auch andere Kulturen wie die einer Schuluniform. Oder ob man Mädchen mit einem Kleidchen oder mit einer Jeans in den Kindergarten schickt. In den südlichen Ländern hat sich zum Beispiel auch eine Vorliebe für softe Materialien entwickelt, sodass dort Jogging-Pants rauf und runter getragen werden, die wir hier nicht so verbreitet sehen. Aber nicht nur wir Deutschen tun uns mit dem Ausland schwer, auch umgekehrt schafft es von dort keiner so richtig, bei uns zu landen.

CB: Warum gibt es im Kinderbekleidungsbereich eigentlich keine landesweit präsenten, bedeutsamen Markenartikler?

HH: Also je nachdem, wie Sie die Märkte definieren, gibt es schon einige große. Bei uns unterscheiden wir den KOB-Bereich in Baby, Kleinkind und Kinder. Wir bewegen uns vor allem im Baby- und Kleinkindbereich und machen hier einen sehr guten Job. Bei den Kindern, so zwischen sechs und vierzehn Jahren, sieht der Markt schon wieder anders aus. Dieses Segment wird in Deutschland stark durch die Teens und die Erwachsenen getrieben. Hier gibt es tatsächlich kaum eine bedeutsame Kindermarke. Vielleicht ein Label wie Vingino, aber ansonsten fällt mir nicht mal eine Handvoll ein. Und wenn Sie an Esprit, Marc O’Polo, s.Oliver oder Tom Tailor denken, dann sind das Marken, die den Kindertextilmarkt dominieren, aber genau genommen keine Kinderlabels sind, sondern heruntergebrochene Erwachsenen- oder vielleicht Familienmarken. Und die sind außerordentlich erfolgreich. Sie vereinen den größten Teil des Kuchens und um den Rest streiten sich 50 Anbieter aus dem Kinderbereich.

CB: Und wie sieht es im Kleinkindbereich aus, auf dem Sie ja sehr stark sind?

HH: Hier hat keine der großen Marken nennenswerte Anteile. Es gibt sicher so manche ganz hübsche Produkte, aber dieses Segment bietet uns Spezialisten unsere Existenzgrundlage.

CB2016_07 Hepperle zitata 1 S.18

CB: Zugleich besteht der Wettbewerb nicht aus den plakativen 50, sondern aus eher noch zu niedrig gegriffenen 500 Wettbewerbern. Wie setzt sich ein Unternehmen hier durch?

HH: Hier gibt es aus meiner Sicht nur zwei Ansätze: Sie brauchen eine bestimmte Mindestgröße oder können als spezialisiertes, aber eben kleineres Unternehmen Erfolg haben. Dazwischen ist es hart. Wenn Sie ein inhabergeführtes Unternehmen mit einem Umsatz von vielleicht zwei bis drei Millionen Euro machen, können Sie davon wunderbar leben. Sie optimieren Ihre Strukturkosten und machen Ihren Schnitt. Wachsen Sie aber weiter, sagen wir so um die fünf Millionen Euro, dann müssen Sie sich stärker professionalisieren. Diesen Umsatz erzielen Sie nicht mit Ihren 50 Boutiquen, sondern Sie müssen dazu auch mit Platzhirschkunden wie Breuninger, Engelhorn oder anderen zusammenarbeiten. Und die geben Ihnen ganz schnell vor, was sie brauchen, damit Sie mit denen zusammenarbeiten können. Plötzlich müssen Sie mehr in die IT und Logistik investieren, Sie brauchen Spezialisten und die Kosten steigen sprunghaft an – meist schneller als der zu erwartende Umsatz. Und diese Professionalisierung, die das weitere Wachstum mit sich bringt, kann Ihnen das Genick brechen.

Zentrale der Kanz Financial Group in Pliezhausen
Zentrale der Kanz Financial Group in Pliezhausen

CB: Entspricht das der Situation von Belly­button, als Sie sich Anfang 2014 dort mehrheitlich beteiligten?

HH: Ja, das trifft es genau. Die Gründerinnen hatten den Umsatz sogar noch höher auf knapp zehn Millionen Euro entwickeln können, aber um die nächste Hürde zu meistern, hätten sie fremde Mittel oder eben einen Partner benötigt, um den nächsten Wachstumsschritt zu schaffen. Eine Rückwärtsbewegung ist da meist nicht möglich. Sie können ja wegen der bestehenden Kunden keine Kompetenz zurückbauen. Kleinere Unternehmen mit zwei Millionen Euro Umsatz sollten also gut schauen, ob sie nicht bereits ein wunderbares Einkommen genießen oder wirklich in der Lage sind, die anstehenden Herausforderungen finanzieren zu können.

CB: Es gibt doch viele Labels in Europa, die seit Jahren am Markt sind und auch mit weiteren inhabergeführten Geschäften ohne IT-Anbindung wachsen könnten. Warum setzt sich hier keine Marke stärker durch?

HH: Das hat sicher eine ganze Reihe von Gründen. In Deutschland spielt da sicher rein, dass der Deutsche per se ein Perfektionist ist. Es gibt zwar teilweise wunderbare Kollektionen, aber dann stimmt der Preisaufbau nicht, vielleicht klappt die zeitlich zugesagte Lieferung nicht oder die Ware ist nicht vollständig. Für den deutschen Einkäufer ist das nicht akzeptabel. Zudem verändern sich die Strukturen im Vertrieb. Früher gab es deutschlandweit ein gutes Netzwerk an Handelsvertretern. Da konnte man auch mal wechseln, wenn es nicht klappte. Heute gibt es im Kindertextilbereich keine zwei Händevoll guter freier Handelsvertreter. Diese Struktur ist weggebrochen, weil die Vertreter nicht mehr davon leben können.

CB: Aber müsste ein Vertreter nicht ein gutes Auskommen haben, wenn er die richtigen Marken im Portfolio hat?

HH: Die sind brutal am Kämpfen. (Überlegt.) Ich kenne eigentlich keinen, der das richtige Portfolio beisammen hat. Entweder sie sind angestellt oder sie haben die falschen Marken. Oft hat man Labels, die die Händler nicht wollen oder die es sich nicht leisten können, einen eigenen Vertriebler zu beschäftigen. Das Problem ist: Läuft eine Marke gut, macht der Hersteller den Vertrieb selber, um die Provisionen zu sparen. Das haben auch die Vertreter inzwischen verstanden. Also macht er sich von keiner Merke mehr abhängig, die ihm bei zu großem Erfolg plötzlich kündigen könnte. Lieber hat er mehr Marken und macht mit diesen jeweils ein bisschen weniger Umsatz. Ein Problem ist es auch, wenn ein Vertreter in jeder Saison mit einem anderen Label kommt und jedes Mal neu zu überzeugen versucht, dass gerade diese Kollektion super ausschaut.

CB: Sehen Sie die Vertriebsstrukturen auch noch aus anderen Gründen unter Druck?

HH: In der Tat. Die Ansprüche der größeren Häuser haben sich parallel verändert. Der Vertriebler muss heute mehr Managementqualitäten einbringen, also manchmal etwas weniger nur verkaufen, umso mehr aber den Kunden beraten. Der klassische Verkauf allein ist immer weniger gefragt, während zugleich Themen wie Flächenbewirtschaftung auftauchen. Das sind Themen, die es derzeit den Unternehmen in unserer Branche schwer machen, sich neu aufeinander einzustellen. Gerade hier sehe ich die großen Wettbewerbsvorteile unseres Hauses, da wir an allen Stellen regional wie thematisch vertreten sind und die gesamte Bandbreite abdecken können.

CB: Sie selbst kommen ja immer mit einem zwar wachsenden, aber festen Portfolio zu den Einkäufern.

HH: Wir sind heute an rund 3.000 PoS präsent. Wo wir mit unseren zugkräftigsten Marken reinkommen, können wir im Laufe der Zeit Cross-Selling betreiben und unsere weiteren Marken einbringen. Aber wir haben natürlich auch Marken im Portfolio, die nur von vielleicht fünf- oder sechshundert Verkaufspunkten nachgefragt werden. Bei einigen Premiummarken ist das natürlich auch Strategie. Bei Papermoon sind wir nicht an so vielen Verkaufsstellen. Hier würden wir uns sogar noch ein paar passende Läden zusätzlich wünschen. Bei Steiff liegen wir leicht über dieser Zahl.

CB: Ihre Gruppe betreibt ja auch eigene Verkaufsflächen…

HH: International haben wir rund 300 eigene Retail- oder Franchise-Stores. Davon sind circa 60 in Deutschland. Zusätzlich haben wir hier über 100 Shop-in-Shop-Flächen. In einer Handvoll Häuser betreiben wir Piloten mit einer vollständigen Flächenbewirtschaftung, also komplett mit Ware, Personal und Kasse. Anhand der Daten aus diesen realen Flächenpartnerschaften lernen wir, die Effizienz zu steigern. Ich denke, da geht es in der Zukunft vermehrt hin. Flächenpartnerschaften dienen dazu, die Vertriebskosten eines mehrstufigen Modells zu heben. Hier liegen bestimmt 20 bis 25 Prozent Wertschöpfung brach. Leider gelingt es bisher keinem Unternehmen, diese in tatsächliche Rendite umzuwandeln. Die verbrennen derzeit wieder durch andere Themen.

CB: Zumal der Durchschnittsbon im Kinderbereich auch kleiner ist.

HH: Das ist ein Riesenproblem. Nehmen Sie eine gute Kinderjeans in Größe 164, die für 49 Euro angeboten werden wird. Eine vergleichbare Damenjeans in Größe 36 geht bei 69 Euro los, aber selbst wenn Sie vielleicht 89 Euro ansetzen, erzielen Sie 40 Euro weniger pro Teil, haben aber den gleichen Stoffverbrauch, die gleichen Nähzeiten und nur eine vielleicht etwas geringere Produktausstattung. Das ist eigentlich unfair. Aber so funktioniert der Markt nun mal.CB2016_07 Hepperle zitat 2 S.19

CB: Für Ihr Haus ist es daher sicherlich von Vorteil, dass Sie selber produzieren?

HH: Klar, das macht uns flexibel und wir behalten die Wertschöpfung im Haus. Aktuell produzieren wir rund 40 Prozent in der Türkei und 60 Prozent in Asien, allerdings auch dort in eigenen Nähereien. In der Türkei produzieren wir im kleinen Rahmen für Dritte, um unsere Produktion nicht nur durch uns auszulasten. Genau genommen gehören die Produktionsstätten nicht uns, der Kanz Financial Holding, sondern der Bemateks Textil, die der Familie von unserem Hauptgesellschafter Özgür Bender gehört. Wir sind allerdings über Kreuz beteiligt und uns sehr nahe. Wir haben inzwischen einen hohen Eigenfertigungsanteil von rund 80 Prozent. Unsere qualitativen Ansprüche haben dazu geführt. Doch wir wollen die Quote künftig wieder etwas reduzieren. Das entlastet uns ein wenig davon, um allein unserer Produktion willen entsprechend hohe Auftragsvolumina bringen zu müssen. Zugleich haben wir bei einer hohen Auslastung unserer Produktion keine ausreichenden Puffer, wenn die Nachfrage auch mal nach oben schwankt. Wir sind eigentlich wieder an einem eingangs erwähnten Punkt, wo wir, wenn wir weiterwachsen, recht deutlich wachsen müssen. Einfach um die sprunghaften Fixkosten einer Kapazitätsausweitung gesund verteilen zu können.

CB: Wir lasen von etwa zwölf Millionen verkauften Teilen pro Jahr. Da stellt sich die Frage nach dem Gesamtumsatz der Gruppe. Die Textilwirtschaft schätzt einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. 

HH: Die Zahl der produzierten Artikel stammt aus der Zeit 2014/15. Heute liegen wir eher bei 14 Millionen Teilen. Wir konsolidieren nicht alle Umsätze unserer verschiedenen Beteiligungen, sodass sich der Gruppenumsatz nicht aus dem Handelsregister direkt ermitteln lässt. Genaue Zahlen veröffentlichen wir nicht.

CB: Wer sind eigentlich Ihre Hauptwettbewerber in Deutschland?

HH: Die Umsätze, die zum Beispiel bei C&A, H&M oder Zara laufen, blenden wir für uns aus. Einfach weil wir denen keine Markenkleidung von uns verkaufen können. Frühere White-Label-Umsätze interessieren uns heute nicht mehr. Das Geschäft machen wir mit unseren Markenumsätzen lieber selbst. Eigentlich wäre s.Oliver für uns ein Wettbewerber, aber wir können tun, was wir wollen – den Umsatz aus deren anders gelagertem Geschäft können wir nicht holen. Für uns ist eher Sanetta ein Vergleichspartner. Das nationale Gesamtvolumen im für uns erreichbaren Baby- und Kleinkindbereich schätzen wir auf rund 600 Millionen Euro, den Kinderbekleidungsbereich darüber auf etwa 900 Millionen Euro.

CB: Und international?

HH: Da gibt es in jedem Land einen anderen nationalen Champion. International sehen wir eigentlich nur einen starken Wettbewerber und das ist das spanische Unternehmen Mayoral. Das ist ein wichtiges Unternehmen, das in Südamerika deutlich stärker ist als wir, in Deutschland spielt es hingegen eine deutlich geringere Rolle. Auch die  C.W.F. ist ein wichtiger Player, aber mehr in Frankreich als hierzulande. Wir blenden Frankreich für uns aus, weil wir den Markt nicht verstehen. Und das ist, bis auf Petit Batteau, auch umgekehrt der Fall. Uns nimmt eher mal Verbandsware wie die der Katag ein paar Marktanteile ab. Wen Sie als Wettbewerber bezeichnen, sind für uns einfach nur Marktteilnehmer.

CB: Herr Hepperle, vielen Dank.

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Original aus CHildhood Business:

Dieser Beitrag erschien in der gedruckten Ausgabe 07/2016 von Childhood Business.

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