„Räubersachen“ für mehr Nachhaltigkeit

Childhood Business: Frau Händel, gemeinsam mit vier Kollegen betreiben Sie seit 2015 einen Leihservice für grüne Kindermode. Nehmen Sie Ihren Lieferanten damit nicht dass Geschäft weg? 

Lisa Händel: Das ist bei einigen Herstellern der erste Gedanke. Aber die Sachen halten auch bei Räubersachen nicht ewig. Wir bestellen also immer wieder nach und entwickeln uns zu guten Kunden der Hersteller. Außerdem machen wir ihre Produkte bekannter. Ich denke, dass wir den Absatz der Hersteller eher steigern als mindern.

CB: Gibt es Lücken im Angebot nachhaltiger Kleidung, die Sie von Herstellern noch nicht ausreichend abgedeckt sehen?

LH: Es gibt schon ein sehr breites Angebot an nachhaltiger Kleidung. Wir haben dadurch, dass wir die Sachen mehrmals in der Hand haben, einen guten Einblick und entdecken eventuelle Schwachstellen bei der Verarbeitung. Wir haben auch andere Verbesserungsvorschläge, wie die Sachen noch bequemer werden oder gar länger halten können. Die meisten Hersteller sind für unser Feedback dankbar und nutzen es, um ihr Angebot kontinuierlich weiterzuentwickeln.

CB: Ein Aspekt der Nachhaltigkeit ist die lange Lebensdauer eines Kleidungsstückes. Gibt es Unterschiede in der Haltbarkeit unter den Herstellern?

LH: Klar, manche Kleidungsstücke sind robuster als andere. Aber die meisten Sachen können wir gut wieder reparieren und so können sie einige Male den Räuber­sachenkreislauf durchlaufen. Dankbare Vermietartikel sind solche, die nicht so stark beansprucht werden, wie zum Beispiel Schlafsäcke. Wir bekommen oft die Rückmeldung, dass Kunden unsere reparierten Kleidungsstücke schöner finden als die neuen. So geht es uns selbst. Sie haben viel mehr Charakter. Wir animieren Kunden, selbst zu reparieren, und geben Stopfkurse. Das Reparieren hat eine meditative und heilsame Seite.

CB: Sie verleihen auch Schuhe. Dabei betonen die Hersteller, dass Schuhe nicht an nachfolgende Kinder weitergegeben werden sollten. Wie sehen Sie das?

Lisa Händel studierte Soziologie, Religionswissenschaften und Ernährungswissenschaften. Die Mutter zweier Töchter stieß 2016 zu Räubersachen und ist seit Anfang 2017 Co-Gründerin. Räubersachen steht für Sachen, in denen man nach Herzenslust in der Natur oder auf dem Spiel­platz herumräubern kann.

LH: Mit dieser Frage haben wir uns auseinandergesetzt. Die meisten Orthopäden sind der Überzeugung, dass es überhaupt kein Problem ist. Wir haben außerdem strenge Qualitätskontrollen. Sind die Sohlen der Schuhe unregelmäßig abgenutzt, gehen sie in die Reparatur. Und Eltern können wählen, in welchem Zustand sie die Schuhe mieten. Oft sind unsere Kunden überrascht, in welch guter Verfassung sogar die „Räubersachen“ sind. Der Vorteil an bereits eingelaufenen Schuhen ist, dass sie schon schön weich sind und die Sohle flexibler ist.

CB: Wie viele Kunden haben Sie denn?

LH: Innerhalb von zwei Jahren ist unser Kundenstamm auf circa 1.200 aktive Kunden gewachsen. Viele Kunden sind, wenn sie es einmal ausprobiert haben, von dem Mietkonzept überzeugt. Sie bestellen dann immer wieder. Und wenn das erste Kind herausgewachsen ist, gleich auch für das zweite Kind. Es gibt aber auch Kunden, die saisonal bedingt nur ein paar Schuhe brauchen oder für den Sommerurlaub in Skandinavien einen Walkoverall benötigen.

CB: Über welche Wege werden Kunden eigentlich auf Sie aufmerksam?

LH: Das meiste läuft über Mund-zu-Mund-Propaganda oder über die Social-Media-Kanäle. Manche Kunden haben auch in der Zeitung über uns gelesen oder einen Beitrag im MDR gesehen. Vor Kurzem haben wir einen Aufruf gestartet, wer für uns Flyer verteilen möchte. Es gab eine überwältigende Resonanz. Die Menschen spüren, dass es uns nicht nur um Profit geht, sondern wir mit ganzem Herzen und voller Überzeugung bei der Sache sind. Daher empfehlen sie uns auch gerne weiter und verschenken Räubersachen-Gutscheine an frischgebackene Mütter.

Kleine Löcher sind noch lange kein Grund, ein Kleidungsstück wegzuwerfen. Die Reparaturfachkräfte von Räubersachen arbeiten diese wie in alten Zeiten einfach auf – und schaffen so manch kunstfertige Hingucker.

CB: Jüngst haben Sie einen Reparaturfond per Crowdfunding aufgelegt und knapp 10.000 Euro eingesammelt. Warum das?

LH: Das Crowdfunding ist einfach eine tolle Sache. Jeder, der möchte, kann seinen Beitrag leisten, egal ob mit einem Euro oder 500 Euro. Für uns war das ein wichtiger Schritt hin zu mehr Freiheit in der Reparaturabteilung, dem Herzstück von Räubersachen. Unsere Reparateurinnen leisten wirklich tolle Arbeit und sind allesamt Künstlerinnen auf ihrem Gebiet. Die Wirtschaftlichkeit soll dabei nicht zu sehr in den Vordergrund treten, ist aber natürlich auch immer wieder Thema. Ich bin überzeugt, dass alles, was die Menschen uns geben, in einer anderen Form wieder zu ihnen zurückkommt, auch einfach dadurch, dass wir unser Konzept verbreiten und damit etwas zu einer nachhaltigeren Gesellschaft beitragen. Für uns ist es jedenfalls wichtig, dass die Kundinnen nicht nur konsumieren, sondern dass wir wirklich die Bedürfnisse der Kinder erfüllen. Diese brauchen nämlich gar nicht 20 T-Shirts in immer wieder neuen Saisonfarben in ihrem Kleiderschrank. Gerade Wolle und Wolle-Seide sind sehr pflegeleicht und können oft mehrere Tage getragen werden. Kleine Flecken kann man mal eben abklopfen oder feucht abwischen. Die Sachen müssen nicht so oft gewaschen werden, da die Wolle eine selbstreinigende Wirkung hat, oft reicht Lüften schon aus. Und man kann sich durch das Zwiebelsystem sehr schnell und einfach an verschiedene Witterungsbedingungen anpassen.

CB: Sie bieten die Mietkleidung ja auch zum Kauf an. Wie wird das genutzt?

LH: Es kommt schon immer wieder vor, dass die Artikel so heiß geliebt werden, dass das Zurückschicken nicht mehr in Frage kommt. Aber die meisten unserer Kleidungsteile kommen schon zu uns zurück. In den kleinen Größen werden mehr Sachen zurückgeschickt, weil die Kinder einfach schneller rauswachsen. In den großen Größen tragen die Kinder sie eher mal so lange, bis der Kaufpreis erreicht ist.

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