i-Size Phase 2: Input aus der Industrie

Pflicht und Kür: Entwickler von Maxi-Cosi tüfteln wie beim Airbag-Modell „AxissFix Air“ an Lösungen, die über die Mindestanforderungen hinausgehen.

Neue Normen stellen die Entwickler von Autositzen vor Herausforderungen. Um zu verstehen, wie das Haus Dorel damit umgeht, haben wir nachgefragt. 

Normen bieten Verbrauchern Produktsicherheit. Für Entwickler hingegen bedeuten sie zusätzliche Herausforderungen. Erik Salters ist als Senior Engineer Research and Development für Maxi-Cosi bei Dorel Juvenile Europe tätig. Im Gespräch mit Childhood Business gewährt er einen Einblick in die Entwicklungsarbeit für Autokindersitze. 

Childhood Business: Können Sie unseren Lesern einmal erklären, welchen Unterschied eine Zulassung nach UN-R 129 Norm und nach i-Size macht? 

Erik Salters: Der Begriff „i-Size“ ist eine Unterart der Norm UN-R 129. Alle Kindersitze nach er neuen Norm werden nach UN-R 129 geprüft. Wenn dabei einige zusätzliche Anforderungen wie zum Beispiel die maximale Sitzbreite erfüllt werden, kann der Hersteller das Modell mit „i-Size“ bezeichnen. Für Fahrzeuge selbst gibt es ja ähnliche Unterschiede: mit Isofix, ohne Isofix oder mit i-Size-Sitzpositionen. Wenn Autos eine i-Size-Kennzeichnung tragen, ist sichergestellt, dass ein i-Size-Autokindersitz in jedem Fall passt. Mit i-Size wird somit die strengere oder zumindest engere Variante der R-129-Norm gekennzeichnet. Wenn ein Sitz richtig installiert wurde, ist der Aufprallschutz von R-129-Modellen und von i-Size-Modellen gleich gut. 

Die i-Size-Idee bietet ein einheitliches Plug&Play-Konzept, das von der Europäischen Kommission und den einzelnen Ländern für sehr wichtig gehalten wird. Das Konzept passt sehr gut zur DNA unserer Marke Maxi-Cosi, denn unsere Ingenieurteams wollen Produkte ebenfalls so selbsterklärend entwickeln, dass eine Gebrauchsanleitung möglichst nicht mehr benötigt wird.

CB: Warum waren auf der Kind + Jugend 2017 keine i-Size-Phase-2-Sitze aus Ihrem Haus zu sehen? 

ES: Das lag am Timing. Zwischen der endgültigen Verabschiedung der Normvorschriften und dem Messetermin lag zu wenig Zeit. Für eine Neuentwicklung dieser Art benötigen wir und viele unserer Wettbewerber ungefähr zweieinhalb Jahre. Da Ende 2016 noch nicht klar war, wie die maximale Breite des Sitzes und die Anforderungen in Hinsicht auf die Größe der Kinder, die in den Sitz passen sollen, aussehen sollten, wäre es ein hohes Risiko gewesen, vorschnell einen Sitz zu entwickeln, der den endgültigen Anforderungen möglicherweise nicht entsprochen hätte. Nun arbeiten wir mit Hochdruck an der Entwicklung. 

CB: Wie lassen sich die Herausforderungen zusammenfassen?

Erik Salters ist als Senior Engineer Research and Development für Maxi-Cosi bei Dorel Juvenile in Deutschland tätig. Er ist aktives Mitglied der Arbeitsgruppe „Passive Sicherheit“ der Vereinten
Nationen. Und ganz aktive Sicherheit schätzt er für seine drei Kinder im Alter von vier, sechs und acht Jahren.

ES: Grundlegend ist die Entwicklung von Sitzen mit einem Seitenaufprallschutz für größere Kinder. Zu beachten sind dabei drei zentrale Punkte, die UN-R 129/2 ausmachen: der Seitenaufprallschutz, die Breite der Sitze, die maximal 44 Zentimeter betragen darf, und dass wir gute Testergebnisse wie beim ADAC und bei der Stiftung Warentest erzielen können.

CB: Man hört von Wettbewerbern, die überlegen, die i-Size-Norm mit der beschränkten Breite grundsätzlich nicht anzustreben, weil sie glauben, dass die Breite zulasten des Seitenaufprallschutzes und somit der Sicherheit der Kinder gehe. Wie schätzen Sie die Situation ein und können Sie diese Überlegung nachvollziehen?

ES: Es ist schon eine echte Challenge, die Produkte so zu entwickeln, dass beide Faktoren erfüllt sind. Klar, mit mehr Breite ist es einfacher, mehr Sicherheit zu bieten, aber mehr Breite allein sorgt ja nicht per se für eine erhöhte Sicherheit. Lediglich die grundlegende Entwicklung gestaltet sich bei einem breiteren Sitz einfacher, weil mehr Raum zur Verfügung steht. Auch nach der UN-R 129 sind modulare Seitenelemente möglich. Ziel solcher zusätzlichen Protektoren ist es, den Seitenaufprallschutz noch weiter zu verbessern. Aber für i-Size muss der Sitz selbst mit maximal 44 Zentimetern Breite den geforderten Schutz bieten. Seitenelemente werden beim Zulassungstest abmontiert. Der Sitz muss für sich innerhalb der Normvorgaben mit der maximalen Breite nach i-Size den geforderten Mindestschutz bieten. Um es plakativ zu sagen: Auch bei einem Auto sind die Stoßfänger nicht demontierbar, auch wenn es dann vielleicht besser in die Garage passt. 

CB: Das Dilemma zwischen Seitenaufprallschutz und Sitzbreite ist eine technische Herausforderung für Sie als Hersteller. Ist das eine lösbare Aufgabe für Ihre Ingenieure oder ein bleibendes Problem?

ES: Wir als Hersteller müssen dafür Sorge tragen, dass Kinder bis zu einer Größe von 135 Zentimetern in die Sitze mit nur 44 Zentimetern Breite passen. So sind die Regeln. Allerdings besteht keine Pflicht, diese Sitze auch für Kinder mit überdurchschnittlich breiten Schultern oder besonders langem Rumpf zu entwickeln. Nur können wir sie dann nicht mehr mit „i-Size“ bezeichnen. Dabei glaube ich sogar, dass es klappen kann, auch Kinder mit einer Körperlänge von 150 Zentimetern in einem nur 44 Zentimeter breiten Kindersitz unterzubringen, wenn die Ingenieursleistung stimmt. Unsere Produkte, welche sich gerade in der Entwicklung befinden, werden diese Anforderung definitiv erfüllen. 

CB: Der Grund für die Breitenbeschränkung ist die Vorgabe, drei Autositze nebeneinander platzieren zu können. Ist dieser vermutlich eher die Ausnahme bildende Fall so relevant, dass er die daraus resultierende Beschränkung der Maße des einzelnen Sitzes rechtfertigt?

ES: Der Wunsch kam von der Europäischen Kommission. Die Hersteller von Autokindersitzen hatten da kein Widerspruchsrecht. Isofix-Babyschalen sind schon seit zehn Jahren mit dieser Maximalbreite auf dem Markt, was aber kein Problem darstellt, da die Kinder in dem Alter noch klein sind. Europäische Familien haben durchschnittlich 1,8 Kinder, weswegen die Anforderung unlogisch erscheint. Wir als Industrie haben nach Verabschiedung der Phase 2 der i-Size-Norm jetzt nur noch die Wahl, ob wir unsere Sitze nach der mehr Spielraum bietenden allgemeinen Norm UN-R 129 oder ausreichend schmal für die engere i-Size-Zulassung entwickeln. Diese Entscheidung selber treffen zu können ist ja schon ein Privileg für uns als Hersteller. 

CB: Glauben Sie, dass mit der Phase 2 die plakative Bezeichnung „i-Size“ wegen der zwei Zulassungsmöglichkeiten zu verwässern droht? Oder gehen Sie von einer Umsetzung der strengeren i-Size-Anforderungen bei der Mehrzahl der künftigen Modelle aus? 

ES: Vorerst werden sich in der Tat zwei Kategorien bilden. Das ist einfach darauf zurückzuführen, dass die Kosten für die Entwicklung von Sitzen nach i-Size-Norm höher sind. Ich denke aber, dass sich in einigen Jahren ein Verhältnis von 80:20 ergeben wird. Der Wunsch der Industrie nach einer Beibehaltung und Stärkung von i-Size ist stärker – i-Size ist sozusagen der Plan A. Und nur wenn dieser sich nicht realisieren lässt, gibt es in der Entwicklung mit der weiteren R-129-Zulassung einen Plan B. Übrigens existiert ja auch noch für einige wenige Jahre mit Zulassungen nach UN-R 44 für manche Hersteller ein Plan C. Hier spielt aber auch der Kauf­entscheidungsprozess der Konsumenten eine bedeutsame Rolle. Ein i-Size-Produkt bietet zwar mehr Funktionen beziehungsweise ein garantiertes Plug&Play, kann aber Nachteile hinsichtlich der Passgenauigkeit bei größeren oder breiteren Kindern aufweisen. Und das Dilemma gibt es nicht nur in den europäischen Ländern, die einen Kindersitz bis zu einer Größe von 150 Zentimetern vorschreiben. Einige Länder gehen nur bis 135 Zentimeter in Bezug auf die Körperlänge. Aber auch diese Kinder können schon breit gebaut sein. 

CB: Als große Unternehmensgruppe liefert Dorel Juvenile ihre Sitze europa- und sogar weltweit aus. Werden unterschiedliche Produkte für die jeweiligen Ländermärkte und Anforderungen entwickelt? Oder wird die Maximalanforderung als Basis gesetzt, sodass die Entwicklung dann für alle Sitze identisch ist? 

ES: Wir bieten in der Tat unterschiedliche Sitze für verschiedene Länder an. Beispielsweise sind in Südeuropa Babywannen als Autositze beliebt, die natürlich breiter als 44 Zentimeter sind. Diese Modelle lassen sich künftig zwar nach UN-R 129 als Babyschale in den Markt bringen. Aber wegen der Überbreite sind sie nicht mehr i-Size-tauglich. Die Liegewannen entwickeln und verkaufen wir also vor allem in Südeuropa. In Nordeuropa werden hingegen viel mehr Reboarder verkauft. Skandinavien hat da ja eine lange Tradition. In unserer Unternehmensgruppe reicht es uns aus, zwei oder drei hinsichtlich der Vorlieben deutlich voneinander abweichende Länder als Zielmärkte zu definieren, um je ein entsprechendes Produkt zu entwickeln, das wir dann jeweils in mehreren Länder mit Erfolg platzieren können. Diese Vorgehensweise ist natürlich unserer Größe als Unternehmen und unserer erfolgreichen Präsenz auf den unterschiedlichen Zielmärkten zu verdanken.

CB: Wie schätzen Sie den allgemeinen Erfolg von i-Size-Sitzen nach der Norm UN-R 129 ein? 

ES: Ich gehe von weiteren Anpassungen der R-129-Norm auch noch im nächsten Jahr aus. Auch kleinere Änderungen können dazu beitragen, dass die Kindersicherheit weiter erhöht wird. Und in fünf bis sieben Jahren werden die R-129er-Babyschalen die alten Modelle nach UN-R 44 voraus­sichtlich komplett abgelöst haben. Da die alte Norm auslaufen wird, ist dieser Verlauf eigentlich vorgezeichnet. Dasselbe wird auch bei Sitzen mit Fahrzeuggurten geschehen. In einigen Jahren dürfen auch in diesem Segment neue Modelle nicht mehr nach UN-R 44 neu zugelassen werden, sodass auch die Autositze für Schulkinder nach UN-R 129 geprüft werden. Im Frühjahr 2019 wird übrigens die Phase 3 Gültigkeit erlangen. Ich erwarte, dass ab 2020/21 kaum noch neue Modelle gurtinstallierter Systeme nach dem alten UN-R-44-Standard auf den Markt kommen. Bis dahin gibt es dann schon zwei Jahre lang die sichereren Modelle nach UN-R 129. Auch wenn UN-R 44 bei Boostern ohne Rückenlehne noch Bestand hat, sind die Phasen 1 und 2 der UN-R 129 zukunftssicher. Ich glaube fest daran, dass der Einfluss der Norm in den nächsten Jahren immer größer wird.

CB: Sie sprachen an, dass zu den drei wesentlichen Herausforderungen gehört, gute Testergebnisse zu erzielen. Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Konsumentenorganisationen für Autositztests und Testinstituten wie etwa Euro NCAP in der öffentlichen Wahrnehmung? 

ES: Ich denke, im deutschsprachigen Raum spielt vor allem die Stiftung Warentest eine wichtige Rolle und wird von den Konsumenten am stärksten zurate gezogen. Ergebnisse nach Euro NCAP werden von Konsumenten eher selten genutzt. Viele wissen gar nicht, dass dort auch Autokindersitze getestet werden. Ich finde gut, dass Stiftung Warentest versucht, die Unterschiede zwischen den Herstellern über die Einhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus herauszuarbeiten und den Konsumenten in einer klaren und eindeutigen Wertungsnote zu präsentieren.

CB: Halten Sie die Kriterien von ADAC und Stiftung Warentest für ausreichend, um die Sicherheitsanforderungen an Autokindersitze zu testen?

ES: Ich kann die Zweifel einiger Hersteller verstehen, wenn diese kritisieren, dass die Stiftung Warentest die Testanforderungen nicht offenlegt und der Prozess dadurch weniger transparent erscheint. Ich bin aber davon überzeugt, dass der ADAC mit der Stiftung Warentest sehr ähnliche Tests wie etwa Euro NCAP durchführt, auch wenn nicht alle Testprotokolle offenliegen. Die Belastungen in den Crashstests sind dieselben. Die Sicherheit wird also in beiden Fällen genau überprüft. Wir präferieren natürlich auch mehr Transparenz bei den Tests. Ich verstehe aber auch, warum die Stiftung Warentest die Protokolle nicht offenlegt. Dadurch hat die Industrie nämlich nicht die Chance, Modelle auf diese Anforderungen hin zu optimieren, dabei aber eventuell andere Anforderungen zu vernachlässigen. Die Industrie ist gehalten, eigenständig über die Frage nachzudenken: Was ist besonders wichtig? Die Notwendigkeit dieser Anstrengung verringert sich gegebenenfalls, wenn die Protokolle offenliegen. 

CB: Der ADAC testet nicht nur, sondern vermarktet auch seine Testanlage. Birgt das nicht einen Interessenskonflikt?

ES: Nicht für uns. Auch wir machen jedes Jahr circa 20 bis 50 Crashtests beim ADAC. Auf unseren eigenen Anlagen testen wir hingegen mit über 2.500 Tests pro Jahr viel intensiver. ADAC-Tests bieten uns zwar gute Referenzwerte, aber bei der Entwicklung fließt durch unsere eigenen Crashs deutlich mehr Input in die Entwicklung noch sichererer Sitze. Wir testen haus­intern auch zusätzliche und über die Mindestanforderungen weit hinausgehende Szenarien. Nur so können wir Sitze entwickeln, die noch leistungsfähiger sind, als die gesetzlichen Normen es vorschreiben.

CB: Bringt sich die Dorel-Gruppe bei Normierungsgremien mit ein?

ES: Ja, wir entsenden Vertreter in die Gremien und Organisationen, die die Normierungen begleiten. Wo es sinnvoll ist, geben wir aus unserer Forschung Input. 

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