Wenn die Stiftung Warentest Produkte prüft, richten sich viele Verbraucher nach den Ergebnissen. Auch im Markt der Autositze bewegen die Noten die Gemüter.
Die Verbraucher schätzen die Stiftung Warentest, die Hersteller werben mit den erzielten Testurteilen und so manches Mal verhageln schlechte Ergebnisse nicht nur den Abverkauf eines Modells, sondern die gesamte Unternehmensbilanz. Henry Görlitz ist bei der Verbaucherorganisation seit Jahren für die Test der Autokindersitze zuständig. Im Gespräch berichtet er über so manche Auswüchse der Branche.
Childhood Business: Hatten Sie zur letzten Kind + Jugend mehr Sitze der seit dem Sommer 2017 geltenden Phase 2 erwartet?
Henry Görlitz: Gewundert hat es mich schon. Aber mir ist es so lieber als das gegenteilige Verhalten, das ich bei fast allen Hersteller beobachte. Da werden auf Messen neue Produkte vor- und eine Verfügbarkeit in wenigen Monaten nach der Messe in Aussicht gestellt, die dann allerdings Anfang des Folgejahres immer noch nicht vertrieben werden. Und was wir im Handel nicht kaufen können, können wir auch nicht testen. Obwohl die Branche unsere zwei Testtermine im Jahr kennt! Die Deadlines müssen aus Fairnessgründen eingehalten werden. Dahinter steckt eine große organisatorische Aufgabe. Daher wundert es mich, dass trotz allem viele Hersteller einfach nicht pünktlich fertig werden. Wir haben nun aber bereits den ersten i-Size-Phase-2-Autokindersitz von BeSafe gekauft und testen diesen gerade. Das Ergebnis wird Ende Mai gemeinsam mit den anderen getesteten Sitzen erscheinen. Und ja, wir haben auch den „Axissfix Air“ von Maxi-Cosi mit dem Airbag getestet. Seien Sie gespannt!
CB: Wie wirken sich Zweitserien und Änderungen an den Modellen auf Ihre Tests aus?
HG: Es gibt mittlerweile schon eine regelrechte Änderungshysterie, insofern die Produkte nach der Messe noch mal geändert werden und sich diese Änderungen dann in unseren Testverfahren zeigen. Das macht das alte Urteil unbrauchbar. Solche Änderungen kommen häufig vor, bringen in der Testnote dann aber durch die Geringfügigkeit der Änderungen nur marginale Unterschiede und dem Verbraucher selbst somit kaum einen Vorteil. Für uns sind diese erneuten Test sehr teuer.
CB: Was halten Sie von der Anforderung, Sitzbreite auf maximal 44 Zentimeter Breite auszulegen?
HG: Das ist in meiner Sicht überhaupt nicht zielführend. Angeblich sollen sich so bis zu drei Kindersitze auf einer Rückbank platzieren lassen. Das ist aber auch mit der Normbreite gar nicht möglich, da die mittleren Sitze in den meisten Fällen viel schmaler sind. Die Anforderung resultiert aus einem Kampf die Automobilindustrie gegen die Autositzhersteller. Wobei die Automobiler natürlich die stärkere Kraft sind und den Autositzherstellern eine Form vorgeben. Aus Verbrauchersicht ist Vieles wirklich Unsinn und schwer zu verstehen.
CB: Aufgrund der Problematik der schmalen Sitzbreite scheinen sich zwei Produktstämme zu entwickeln – einer nach „i-Size“ und einer „ECE-R 129“. Wird das nicht die die Verbraucher iritieren?
HG: Leider ist der Prozess schon im vollen Gange. Und daher hält sich meine Begeisterung für i-Size
auch sehr in Grenzen. Ähnliches konnte man bereits in Phase 1 betrachten, wo Babyschalen ohne
Isofix-Base den Namen i-Size trugen, ohne dass dies den Anforderungen entsprach. Ich glaube auch nicht, dass das Stichwort „i-Size“ allein den Verbrauchern bei der Kaufentscheidung hilft, sondern eher noch mehr Verwirrung stiftet. Dabei verstehe ich die Firmen, wenn sie die Spielräume ausnutzen, um sich am Markt gegen viele Wettbewerber zu beweisen. Wir versuchen, in unseren Tests Einschränkungen und Unterschiede transparent zu machen. Trotz aller Testerei sollte für den Konsumenten gelten: Gehe mit deinem Kind ins Geschäft, und probiere den Sitz in deinem Auto vor Ort aus, denn sonst gibt es keine Garantie, dass der Sitz passt. Die Preise für i-Size-Sitze sind zudem enorm hoch, was sicher manche Verbraucher vom Kauf abhält – zumal wenn beim Sicherheits- und Schutzpotenzial keine markanten Unterschiede zu anderen Sitzen belegen lassen.
CB: Sie setzen bei den Autositztests auch Verbraucher ein?
HG: Ja, denn wir selbst schauen ja schon mit Expertenscheuklappen darauf. Da ist es interessant zu sehen, was Laien anders machen. Wir lassen die Leute die Sitze nach der Bedienungsanleitung einbauen und schauen uns an, wie einfach der Einbau und wie fehlerfrei die Anleitung ist.
CB: Wie gehen Sie eigentlich mit zusätzlichen Seitenprotektoren im Test um?
HG: Die Tests werden immer mit den zusätzlich angebrachten Elementen durchgeführt! Solche Bauteile stellen ja eine Gefahrenquelle dar, denn Laien könnten sie fehlerhaft bedienen. Es besteht die Möglichkeit, dass die Seitenelemente abgenommen, falsch montiert oder gar nicht erst angeschraubt werden, wodurch die Sicherheit des Kindes leidet.
CB: Und was halten Sie von Fangkörpern im Vergleich zu konventionellen Sitzgurten für Kindersitze?
HG: Die Diskussion um Fangkörper hat wie vieles andere mit Marketingzielen der Unternehmen zu tun. Fangkörper lassen bei einem Frontalaufprall den Nacken des Kindes abgerollen und veringern die Belastung gegenüber vorwärts gerichteten Autositzen mit Gurten. Kiddy beispielsweise stellt schon seit Jahren Sitze mit Fangkörpern her und konnte über viele Jahre in unseren Tests überzeugen. Inzwischen kamen weitere Wettbewerbesmodelle mit Fangkörpern hinzu. Manche haben sind Umsetzung aber zu fahrlässig einfach angegangen. Für mich stellen Fangkörper, wenn ordnungsgemäß verbaut, die zweitsicherste Alternative nach der sichersten Variante des rückwärtsgerichteten Sitzes dar.
CB: Und wie stehen Sie zu Sitzerhöhungen ohne Rückenlehne?
HG: Wir haben diese Varianten auch schon getestet und testen bisweilen immer wieder reine Sitzerhöhungen. Die Ergebnisse sind von vornherein absehbar mit mangelhaft zu bewerten, denn sie bieten keinen Seitenaufprallschutz, keine Gurtführung und so weiter. Daher mein Rat: Nehmen Sie lieber einen Sitz mit Rückenlehne!
CB: Einige Hersteller bemängeln an den gemeinsam mit dem ADAC durchgeführten Autositztests, dass die Protokolle nicht offengelegt würden. Wie stehen Sie dazu?
HG: Die Hersteller kennen unsere Prüfprotokolle. Dass die Protokolle nicht offengelegt werden, stimmt daher nicht. Bei Tests, die man nur einmal macht, gibt es ein Prüfprogramm, das sich aufgrund der Einzigartigkeit aber an keiner Norm orientieren kann. Aber wir lassen uns von Instituten und Experten aus der Branche zu den Kriterien der Tests beraten. Darüberhinaus übermitteln wir die reinen Messwerte vor Veröffentlichung des Tests an die Hersteller, sodass die die Möglichkeit haben, Stellung zu nehmen. Jedes mangelhafte Ergebnis, etwa in der Schadstofffreiheit, wird zudem immer noch an einem zweiten Modell überprüft.
CB: Was wird im Fachbeirat der Stiftung Warentest mit den Herstellern besprochen?
HG: Der Fachbeirat spielt eine große Rolle. Wir holen uns bei Herstellern und Instituten Rat ein und überlegen gemeinsam, welche Tests gemacht werden sollten. Das ist Teil unseres Erfolgsmodells, denn darin findet man auch die Meinungen der Hersteller über ihre eigenen Produkte wieder. So hat sich der Test mithilfe des Fachbeirats immer wieder weiterentwickelt und wir können den Verbrauchern noch deutlicher unsere Einschätzungen den Werbebotschaften und Selbstaussagen der Hersteller gegenüberstellen.
CB: Wie wird diese große Anzahl an Tests eigentlich finanziert?
HG: Einerseits von den Testpartnern. Bei den Verbraucherorganisationen ist Stiftung Warentest hauptverantwortlich. Die Testpartner sind neben solchen Organisationen auch Automobilclubs aus fast allen Ländern Europas und darüber hinaus auch aus anderen Ländern aus aller Welt. Bei uns kommt ein großer Teil der Mittel aus dem Verkauf unserer Magazine an Abonnenten und am Kiosk. Die zwei großen Partner sind der ADAC und Stiftung Warentest. Der ADAC hat ein bemerkenswertes Testlabor und führt die Crashtests durch. In Österreich (ÖAMTC) und in der Schweiz (TCS) liegt die Expertise zur Handhabbarkeit von Sitzen vor. Wir von Stiftung Warentest sind die Bewertungsexperten des Teams.
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