Cybex lässt es krachen

Nun hat auch Cybex eine eigene Anlage: Mit einer Crashtest-Anlage am Standort Bayreuth verfügt Cybex nunmehr auch im deutschen Entwicklungszentrum über eigene Kapazitäten für Sicherheitstests an realen Produkten.

Mit der neuen, Mitte April 2019 eingeweihten Testanlage kann Cybex künftig bis zu 2.200 Produktprüfungen direkt am Entwicklungsstandort Bayreuth vornehmen. Der Campus des Unternehmens wird darüber hinaus auf rund 600 Mitarbeiter anwachsen.

Wenn es um Autositze für Kinder geht, gehört Cybex zu den bedeutendsten Anbietern. Viele vom ADAC und der Stiftung Warentest gemeinsam prämierte Produkte hat das Unternehmen seit seiner Gründung in 2005 entwickelt und vermarktet. Ungewöhnlich war, dass die auf Markenauftritt und -reputation größten Wert legenden Entscheider, die von Bayreuth aus die weltweite Entwicklung der chinesischen Goodbaby-Gruppe steuern, zu der Cybex seit Anfang 2014 gehört, ihrem „Campus“ genannten und Jahr für Jahr wachsenden Areal in Bayreuth nicht schon viel früher eine unternehmenseigene Crashtest-Anlage spendiert haben. Wettbewerber wie Britax Römer oder der inzwischen in Joyson Safety Systems umbenannte, seitdem in eine Art Markenstarre verfallene Anbieter Takata lassen ihre Ingenieure schon seit Längerem auf eigenen Anlagen Tag für Tag neue Produkte testen.


Geschäftsführer Johannes Schlamminger bei der feierlichen Einweihung der Crashtest-Anlage.

Doch gut Ding will Weile haben und die Entscheidung, in Bayreuth entsprechend aufzurüsten, fiel ja auch schon in 2017. Am 11. April 2019 war es so weit, als Cybex zur Einweihung der neu aufgestellten Crashtest-Anlage einlud. Diese erfolgte zwar nicht im Beisein des Gründers Martin Pos. Doch Geschäftsführer Johannes Schlamminger konnte Dr. Hans Reichhart, den bayerischen Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr, gewinnen, ein ebenso persönliches wie der Seele des Hauses schmeichelndes Grußwort an die zumeist aus der Bayreuther Regionalprominenz stammenden Gäste zu richten. Auch Brigitte Merk-Erbe, die amtierende Oberbürgermeisterin der Stadt Bayreuth, nutzte die Gelegenheit, das Beispiel Cybex als Glücksfall für die Region zu beleuchten.

Seither verfügt das Haus also über eine Anlage, um bis zu 2.200 Tests pro Jahr zu fahren. Damit sind die Wege zur Überprüfung neuer Entwicklungen oder Verbesserungen bereits eingeführter Produkte, aber auch zur Durchführung laufender, gesetzlich vorgeschriebener Chargen-Tests ab sofort viel kürzer. Es lassen sich mehr Tests durchführen als beim Rückgriff auf Drittdienstleister – oder wenn man Produkte erst nach China und in die USA zu verbringen hätte, wo das Unternehmen über drei weitere Anlagen gebietet.

Eine baugleiche Ausführung zu der in Bayreuth aufgestellten wurde übrigens in China parallel errichtet. Das erlaubt Tests nicht nur am Entwicklungs- wie auch am Produktionsstandort, sondern ebenso die Durchführung von Tests über verschiedene Zeitzonen hinweg. 

Von wegen gefördert

Entwicklungschef Dr. Raoul Bader erläutert anschaulich die Funktionsweise der Testanlage.

Anfänglich wurde noch überlegt, ob man freie Kapazitäten der Testanlage an Drittfirmen vermieten könnte. Doch Schlammingers Mannschaft hat festgestellt, dass sie die Anlage selbst komplett auslasten werden. Der Appetit kommt eben beim Essen.

Angaben zum Hersteller der Anlage machte das Unternehmen nicht. Schließlich habe man die in einem kräftig leuchtenden Rot lackierte Katapultanlage entscheidend modifiziert, begründete Co-Geschäftsführer und Entwicklungschef Dr. Raoul Bader die Verschwiegenheit.

Die Gesamtinvestition erreichte über die Anlage mit ihren rund 3,5 Millionen Euro hinaus einen Wert von circa fünf Millionen Euro.

Anders als mehrfach kolportiert ist Cybex übrigens nicht vom Land Bayern gefördert worden. Überlegungen dazu wurden zwar in der Tat verfolgt, doch rechtfertigt nach Auskunft des bayerischen Wirtschaftsministeriums die Region keine von der EU genehmigten Investitionsförderungen. Und auch eine Technologieförderung wäre nur bei einem höheren Innovationsgrad denkbar gewesen, den die Installation einer gewissermaßen konventionellen Crashtest-Anlage nicht erreicht.

Beschleunigt statt gebremst

Auf dem Schlitten der Anlage wird eine Karosserie mit einer installierten Rückbank und den Testprodukten blitzartig beschleunigt, was kinetisch so einwirkt wie ein Aufprall.

Durch den sogenannten Schlitten der Anlage können Frontal- und Heckunfälle sowie seitliche Aufpralle simuliert und über Sensoren die Auswirkungen auf einen Dummy ausgewertet werden. So lässt sich ermitteln, wie eine Babyschale oder ein Kindersitz in der Praxis performt.

Rund 150.000 Euro kostet allein ein Dummy der neuesten Generation. Und wer eine Anlage betreibt, verfügt in der Regel über eine kleine Kita-Gruppe solch empfindlicher, ansonsten aber sprachloser Testsitzer.

Die Anlage ist, auf einem Spezialfundament gelagert, in einer voll klimatisierten Testhalle untergebracht. Denn auch die Temperatur hat Auswirkungen auf das Materialverhalten von Kinderrückhaltesystemen. So kann sich zum Beispiel eingesetztes Dämmschaummaterial im Kopfbereich bei auskömmlichen 20 Grad Celsius optimal verhalten, aber bei niedrigen Temperaturen nach einer Frostnacht im Winter oder bei großer Hitze im Sommer ihr Aufprallabsorptionsverhalten massiv einbüßen.

Hersteller, die hohe Standards setzen wollen, führen daher zahlreiche Versuche auch jenseits der Anforderungen durch gesetzliche Normen oder der in Teilen bereits darüber hinausreichenden Tests von ADAC und Stiftung Warentest durch. 

Hoher Besuch in Bayreuth: Johannes Schlamminger (l.) begrüßte zusammen mit Dr. Raoul Bader (r.) den bayerischen Staatsminister Dr. Hans Reichhart (Mitte).

Cybex setzt auf ein Katapultsystem. Dieses wird nicht wie bei einem Unfall schlagartig abgebremst, sondern blitzartig beschleunigt. Die Kräfte, die dabei wirken, sind die gleichen wie bei einem Aufprall.

Vor einem Test wird binnen 70 Sekunden hydraulisch ein Druck von bis zu 350 bar aufgebaut, was auf der Anlage eine Kraft erzeugt, die in etwa der einer großen Diesellok entspricht. Gleißende LED-Leuchten tauchen den Schlitten mit der aufgeschnittenen knallgelben Fahrgastzelle eines VW Golf VII, auf der eine Babyschale oder ein Kindersitz samt Testpuppe montiert ist, in helles Licht, damit die Hochgeschwindigkeitskameras genügend Ausleuchtung für ihre bis zu 4.000 Bilder pro Sekunde haben.

Sobald der Test startet, wird der Schlitten auf einer Strecke von nur 1,20 Meter in 180 Millisekunden auf maximal 80 km/h beschleunigt. Zehn Mitarbeiter werten anschließend die Daten eines jeden Versuchs aus.

Die Anlage ist nur die erste Etappe: Angestrebt wird ein Wachstum des Standorts auf künftig rund 600 Mitarbeiter. 

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