Von mir hat sie das nicht

Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.
Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.

In vielen Erziehungsratgebern steht, dass die Kleinen schon früh so unheimlich viel lernen. Alles schauen sie sich von uns ab und ahmen es nach. Eltern sollen ihren Kindern deshalb möglichst früh viel Nützliches beibringen. Wenn das Baby beispielsweise „Baby Bett“ sagt, soll Mama das jedes Mal korrekt ausformulieren: „Ja, das Baby muss jetzt zu Bett gehen.“ Eltern, die dazu über Jahre fähig sind, erziehen so bestimmt die neue Ingeborg Bachmann heran.

Merkwürdig nur: Mein Lottchen lernt von mir so gut wie gar nichts. Kaum etwas an ihrem Verhalten kann sie von mir haben. Lottchen möchte in der Früh herumgetragen werden, sie krabbelt anschließend gern lange unter dem Tisch und zwischen den Stühlen herum, alles Verhaltensweisen, die ich auch unter hohem Alkoholeinfluss nicht zeige. Wenn Lottchen keinen Appetit mehr hat, vermag sie die Essensaufnahme mit einem Kick gegen die Breichenschale zu beenden. Ich pflege nach dem Essen Messer und Gabel beiseitezulegen. Ebenso wenig weiß ich, von wem Lottchen diese Fixiertheit auf Materialien hat. Ob Tischbeine, Wäsche oder Blumentöpfe, alles nimmt sie in den Mund und prüft dessen Festigkeit. Ich kann beschwören, dass das sonst keiner in der Familie tut. Lottchen ist zudem sehr frustrationstolerant. Erfahrungen des Nichtgelingens motivieren sie. Den lästigen Sicherheitsriegel in ihrem Buggy tritt sie jedes Mal heftig, wenn ich sie in ihr Wägelchen setze. Gemäß der Lerntheorie müsste sie dieses Verhalten eigentlich aufgeben.  

Meines Erachtens werden Vorbildwirkung und Lernkorrekturen bei Kleinkindern total überschätzt. Niemand bei uns hat Lottchen beigebracht, wie man krabbelt oder sich im Gitterbettchen aufrichtet. Plötzlich konnte sie es und Papa war entzückt, was Lottchen allerdings ziemlich egal ist. Sie krabbelt nämlich im Eiltempo auch durch die Wohnung, wenn mich das nicht erfreut. Meistens freut es mich nicht. 

Es ist eher andersherum: Die Erwachsenen lernen von den Kleinen. Neulich, im Hotel, beeindruckte mich Lottchen mit ihrer sozialen Kompetenz. Wann immer ein Kellner oder Gast vorbeikam, stellte sie das Köpfchen schief und lachte. Die Folge war, dass Gäste und Personal ihr alles hinterhertrugen. Sie konnte das Lätzchen oder ihren Lieblingsfrosch noch so oft auf den Boden werfen, schon bückte sich jemand, um es ihr zu reichen. Lottchen bezirzte das ganze Hotel. Wir mussten andauernd höflich Schokoeis und Spielzeug abwehren, die sich Lottchen erlächelt hatte. So, wie sie andere für ihre Zwecke einspannt, dachte ich mir, kann ich von Lottchen jetzt schon eine Menge lernen.  

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Original aus CHildhood Business:

Cover der Ausgabe 06/2019

Dieser Beitrag erschien in der gedruckten Ausgabe 06/2019 von Childhood Business.

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