Bei den Lesestiften hat sich mit Tiptoi ein Marktführer herausgebildet. An dem Beispiel zeigt sich: Es ist von Vorteil, wenn sich Unternehmen kompromisslos auf eine eigene Technologie konzentrieren.
Nicht nur im Hörspielbereich hat mit der Toniebox und anderen Anbietern eine Technologieinnovation Einzug gehalten. Auch bei Kinderbüchern und Spielen sowie Lernmaterialien haben Lesestifte zu einer ganz neuen Produktkategorie geführt, die sich weithin großer Beliebtheit erfreut. Mit dem 2010 vom Ravensburger Verlag eingeführten Lesestiftsystem Tiptoi hat sich ein Marktführer entwickelt, dem einige kleinere Wettbewerber nacheifern.
Lange Zeit galt Ting, was das chinesische Wort für „Hören“ ist, als der interessanteste Wettbewerber, weil das von der deutschen Druckerei Himmer entwickelte Lesestiftsystem auch durch Drittanbieter nutzbar war. „Mit Ting haben die Nutzer den Vorteil, dass sie mit nur einem Stift Texte verschiedener Verlage hören können“, betonte Hannes Eisele, Aufsichtsratsvorsitzender von Himmer, die Offenheit des Systems.
Himmer hatte ein zentrales Serversystem eingerichtet, auf dem die Audioinhalte aller Ting-Partner kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Während die Technologie offen dokumentiert war, galt es noch immer, die mit für das menschliche Auge nicht sichtbaren, aber durch die Leseoptik des Stiftes wahrnehmbaren Codes auf die Bücher oder Spiele zu drucken – und die Daten von Ting hosten zu lassen. Zumindest machten zuletzt rund 25 Verlage allein im deutschsprachigen Raum mit. Doch die Offenheit bekam dem Ansatz nicht gut.
Während Ravensburger, mit einem Umsatz von 491,2 Millionen Euro (2018) und über 2.100 Mitarbeitern eine bedeutsame Vertriebspower auf die Straße brachte, fehlte bei Ting ein zentrales Marketing. Aus den Beiträgen für die Lizenzierung, dem Druck beziehungsweise der Audiodistribution ließ sich keine nachdrückliche Marketingkampagne finanzieren. Auch die Vertriebe der verschiedenen Verlage arbeiten alle für sich. Keiner der Systempartner sah sich in der Rolle, strategisch in die Bekanntheit zu investieren, die zugleich allen Partnern zugutegekommen wäre.
Bereits 2017 und 2018 waren Ting-Stifte nur noch sporadisch oder gar nicht mehr lieferbar. Über Himmer finden sich im Netz Berichte über Insolvenzen und andere Schwierigkeiten. Inzwischen gilt das System seit 2018 als eingestellt, auch wenn die Website noch funktioniert.
Als der wichtigste Kooperations- und Vertriebspartner hat sich der Tessloff Verlag entschieden, in ein eigenes System namens Bookii zu investieren. Auch dieses steht Dritte offen. Doch mit dem eigenen Produkt will Tessloff mit mehr Nachdruck antreten und hat im Buchhandel eine recht gute Verbreitung gefunden. Das Wichtigste aber ist, dass Tessloff nicht mehr abhängig von der Stiftproduktion durch einen Dritten ist. Denn was nützen neu entwickelte Produkte, wenn Eltern das notwendige Abspielgerät nicht kaufen können?
Zumal die Stifte heute immer mehr können. Sie beleben nicht nur das Lese- und Spielerlebnis durch Tonwelten und integrierte Rätsellogiken, sondern lassen sich durch eigene Dateien bespielen, mit einem MP3-Player nutzen und über kodierte Zusatzsticker auch in die heimische Kinderzimmerwelt integrieren.
Andere Modelle wie der Tellimero vom Betzold Verlag werden in höheren Schulklassen eingesetzt und unterstützen beim Lernen fremder Sprachen, indem die Aussprache mit dem Stift trainiert werden kann. Auch im Bereich „Deutsch als Fremdsprache“ kann ein Lernstift als Unterrichtsmaterial durchaus hilfreich sein und das auditive Lernen viel individueller gestalten.