Mit Lottchen in Corona-Haft

Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.
Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.

Die Corona-Haft traf mich unvorbereitet. Hatte man uns eben noch erzählt, das Virus würde Europa nicht betreffen, konnte es mit dem Shutdown plötzlich nicht schnell und radikal genug gehen. Meine Frau und ich waren für knapp drei Monate im Home­office. Persönliche Kontakte waren maximal eingeschränkt, man wich sich auf der Straße weiträumig aus. Ich hatte zwar ab und an Freigang ins Büro, aber die Flure waren leer und unwirtlich wie die Straßen im Endzeitfilm „The Day After“. In meinen Videokonferenzen hatten die Teilnehmer immer müdere Gesichter und längere Haare, weil keiner zum Friseur gehen konnte.

Lottchens Kinderkrippe wurde dicht­gemacht und der Kontakt zu den Großeltern untersagt. Da stand Lottchen nun in ihrer Spielecke, vermisste ihre Freunde, ihre Oma und den täglichen Weg zum Kinderspielplatz und staunte, wenn wir in der U-Bahn die Masken aufsetzten. Lottchen wählte Papa zum Dauerspielkameraden aus. In schöner Regelmäßigkeit steckte sie ihr Köpfchen zwischen die Zimmertüren zu mir rein und schaute mich erwartungsvoll an. „Willst du spielen?“, fragte ich. „Ja“, schoss es kurz und knapp von Lottchen zurück und sie nahm mich an die Hand und führte mich weg in ihr Reich. Also ließ ich den Laptop stehen und arbeitete mich mit ihr durch Berge an Bilderbüchern, Bauklötzen und Puppenklamotten. Klar, ich habe in diesen letzten Wochen mehr Zeit mit ihr verbracht als zuvor und es waren auch viele schöne Momente dabei. Aber eben nicht nur. Die Corona-Haft hat Lottchen zu einem einsamen Kind gemacht, abhängig von Papa und Mama. Ein berühmtes afrikanisches Sprichwort sagt: Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen – und so ist es. Die Kleinfamilie ist ohnehin immer überfordert, aber es gibt wenigstens Großeltern, Tanten und den Kindergarten. Wenn das aber alles wegfällt, wird es schwierig. Freunde, die drei Jungs haben, berichteten, dass diese mittlerweile im offenen Kriegszustand stünden und die Eltern ihr Schlafzimmer dem Ältesten übergaben, um die drei Streithähne wenigstens etwas räumlich zu trennen. 

Erinnern Sie sich an meine letzte Vor-Corona-Kolumne? Da berichtete ich von „Edi“, unserem nervigen Handy, das wir in den Untergrund verbannt hatten, damit Lottchen ihre Fixierung auf diesen Eindringling verliert. Nun holten wir Edi wieder hervor und richteten eine Whatsapp-Gruppe mit Oma ein, die Lottchen am meisten vermisste. Edi ist also wieder da. Auch die Fixierung. Standhaft blieben wir beim Nein für das Fernsehen, aber ich kann Eltern verstehen, die zwischen Kochen, Aufräumen und Homeoffice ihre Kleinen öfter mal vor der Glotze parkten. 

Die Isolationshaft in der Kleinfamilie, die ständige Angst und die fehlenden Spiel- und Lernangebote haben den Kindern sehr geschadet. Der erfolgreiche schwedische Weg zeigt, dass unsere radikalen Kita- und Schulschließungen übertrieben waren. Auch in Taiwan gab es lediglich eine vorsorgliche Verlängerung der Winterferien um zweieinhalb Wochen. Eine Reihe von Studien weltweit belegt, dass Kinder sich seltener infizieren, mildere Krankheitsverläufe haben und das Virus seltener weitergeben. Die Politik veranstaltet diverse Wirtschaftsgipfel und sogar einen Spargelstechergipfel, es gab Milliarden für Lufthansa, Adidas und Media Markt. Aber einen Familiengipfel gab es nicht. Angesichts des fortdauernden Notbetriebs in Kitas und Schulen wird einem schmerzlich klar, dass die Politik für Kinder und Familien nichts übrighat. 

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Original aus CHildhood Business:

Cover der Ausgabe 07-08/2020 von Childhood Business

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