Familien sind die Corona-Verlierer

Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.
Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.

Lottchen geht gern in den Kindergarten. Sie nimmt von dort viel mit. Nicht nur Husten, Schnupfen und gelegentlich blaue Flecken, sondern vor allem wertvolle Eindrücke und Erlebnisse. Besonders gefällt ihr, dass Tante Babsi den Tag mit Gitarre und Kinderliedern beginnt. Alle Kinder singen dann aus voller Kehle und stimmen sich so auf einen fröhlichen Tag ein.

Abends, wenn ich Lottchen ins Bett bringe, erzählt sie mir ab und zu von ihren Freunden: Mathias, Leki, Hugo und Marianne. Was die Kids im Kindergarten tatsächlich anstellen, erschließt sich mir aus Lottchens drei Sätzen nicht wirklich, aber ich merke, wie sehr sie das Erlebte beschäftigt.

Es kam schon vor, dass sie nachts aufwachte, weinte und den Namen Mathias herauspresste. Bei Jungs werde ich natürlich hellhörig, aber Mathias ist ein goldiges Dickerchen, der Lottchen gern von seinen Spaghetti und Waffeln abgibt. 

Die beiden spielen gern miteinander – wenn sie dürfen. Denn der Corona-Lockdown hatte das beginnende Kinderglück von Lottchen und Mathias, und das vieler anderer Kinder, im Frühjahr je unterbrochen. Dann gönnten sich Erzieher und Lehrer erst mal die Sommerferien. Jetzt läuft der Betrieb wieder an, aber mit den steigenden Positiv-Testungen wächst die Gefahr eines weiteren chaotischen Halbjahrs.

Erste Kitas und Schulen machen schon wieder dicht, manchmal sogar bei nur einem Verdachtsfall. Den Eltern wird die ganze Last der Kontakt-Unterbrechung aufgebürdet, obwohl die klinischen Befunde deutlich dafür sprechen, dass Kinder weder zu den Superspreadern noch zu den Gefährdeten zählen. In Deutschland gab es nur drei Todesfälle unter dem 20. Lebensjahr. Ob die Schulschließungen überhaupt einen relevanten Effekt auf den Verlauf der Epidemie hatten, ist fraglich. Aber mit den Eltern kann man’s ja machen und Kinder haben kein Mitspracherecht.

Als in einem Schlachtbetrieb in Gütersloh wegen gravierender Hygienemängel Corona ausbrach, wurden sofort alle Schulen geschlossen, während Restaurants und Geschäfte offen blieben. Der wirtschaftliche Schaden sei bei Schulschließungen am geringsten. Schadensersatz vom Schlachthausmilliardär kommt der Politik dagegen gar nicht erst in den Sinn. 

Familien sind die großen Verlierer der Corona-Krise, weil sie offenbar nicht systemrelevant sind. Es ist grotesk: Warum wird nicht wie in Österreich mit dem Gurgeltest oder mit billigen Schnelltests, die in 15 Minuten ein Ergebnis liefern, in Schulen durchgetestet? Dann wäre ein Schul- und Kita-Alltag ohne große Unterbrechungen möglich.

Lieber macht die Politik die Schulen dicht und bejammert Mütter, an denen die ganze Last des Homeschooling hängen bleibt, weil die Väter angeblich nichts tun. Das ist dreist, denn es sind ja die gleichen Politiker, die die Familien belastet haben und eine brauchbare Teststrategie einfach nicht hinbekommen. Zudem zeigt eine Studie, dass die Väter ihre Zeit für die Familien- und Hausarbeit sogar stärker ausgedehnt haben als die Mütter.

Wir Väter merken eben auch, dass den Kindern die Freunde fehlen, dass ihnen zu Hause die Decke auf den Kopf fällt, dass sie Betreuung auch beim digitalen Fernunterricht brauchen. Viele Kinder sind zuletzt in Computerspielen oder im TV-Binge-Watching versunken oder leiden unter Tik-Tokeritis.

Dass die Kinder weitgehend allein gelassen werden, wird sich noch rächen. Es ist ein Armutszeugnis für ­dieses Land.

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Original aus CHildhood Business:

Cover der Ausgabe 11-12/2020 von Childhood Business

Dieser Beitrag erschien in der gedruckten Ausgabe 11-12/2020 von Childhood Business.

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