Bosch und Emmaljunga geben diese Woche bekannt, dass der seit nunmehr rund vier Jahre geplante und mehr noch angekündigte E-Stroller nicht auf den Markt kommen wird. Damit endet das Wagnis des schwedischen Herstellers von Kinderwagen, in einem Projekt zusammen mit dem Weltmarktführer für Fahrzeugelektronik eine Plattform für elektrisch angetrieben Kinderwagen zu schaffen.
Vor rund vier Jahren sah sich Emmaljunga auf der Seite der Zukunft. Nach einer Sondierung unter den wichtigsten Herstellern im Markt entschlossen sich Bosch-Ingenieure, mit dem seit 1925 in Familienhand befindlichen Premiumhersteller Emmaljunga aus dem gleichnamigen schwedischen Ort den Kinderwagenmarkt um eine E-Plattform zu bereichern.
Elektronik, Akku- und Antriebstechnik kann man bei Bosch. Und es schien nur eine Frage der Zeit, bis diese Komponenten, Messelektronik und eine passende App so zusammenkonzipiert würden, bis eine Marktlösung ausgereift sei.
Emmaljunga steuerte als Kinderwagenhersteller Erfahrungen aus dem Segment der rollende Ware rund ums Baby und Kleinkind bei – und konnte als nahezu vollstufiger Hersteller mit eigener Entwicklung und Fertigung im Haus Prototypen fertigen und Testserien bereitstellen.
Dass allegorisch formuliert Berge kreißen und Mäuse gebären, ist bekannt. Dass aber ein Unternehmen von Weltrang einen Markt im Kinderwagenbereich identifizierte, mehrere Jahre lang einen Antrieb und mehr noch eine Antriebssensorik und -steuerung entwickelte, um am Ende gar nichts auf den Markt zu bringen, enttäuscht.
Nach Aussage des zuständigen Bosch-Pressesprechers Thorsten Schönfeld hat eine Analyse des Marktpotenzials ergeben, dass sich der Verkauf von Kinderwagen immer weiter ins Online-Segment verschiebt und zeitgleich ein großer Preisdruck auf dem Premiumsegment lastet. Das habe schlussendlich zu der Einschätzung geführt, dass für das Unternehmen Bosch kein profitables Geschäft möglich sei.
Ein offizielles Statement von Bosch werde es laut Schönfeld nicht geben, da man das Thema für sich bereits abgeschlossen habe. Ob die Technologie des Unternehmens einen so hohen Preisaufschlag rechtfertigen würde, wie man ihn anstrebte, lässt sich also leider nicht mehr ermitteln.
Vielleicht kreißte man auch einfach zu lange, was die Kosten trieb. Denn dass es schneller geht, bewies Cybex mit seinem “e-Priam”, der zeitgleich angekündigt wurde – und schon seit Jahren auf dem Markt ist. Das chinesische Unternehmen mit seinen Bayreuther Wurzeln hatte sich die Avancen von Bosch seinerzeit dem Vernehmen nach auch angehört, sich aber entschieden, die Technologie allein zu entwickeln.
Und so präsentierte man zeitgleich mit Bosch (und Emmaljunga) vor Jahren auf Kind + Jugend, versprach, schon bald auf den Markt zukommen, und lieferte dann zwar etwas verzögert, aber rückblickend recht zeitnah nach der Erstankündigung aus.
Eleganter war der Ansatz von Anbeginn, denn die Batterie des Antriebs war in die Hinterachse integriert, während Bosch seinen aus der Werkzeugwelt bekannten Systemakku beulenartig an die Modelle des Entwicklungspartners und die der späteren Lizenznehmer anzuflanschen gedachte.
Vielleicht war die Strategie von Cybex besser – selbst entwickelt, schnell am Markt und echtes Feedback von echten Kunden. Das dürfte die Gesamtkosten der Entwicklung deutlich geringer gehalten haben und echte Absatzzahlen adjustierten den weiteren Aufwand in das System.
Ein Verkaufserfolg ist der e-Priam nicht. Aber einer der Marktführer hat erkannt, konzipiert und geliefert, was Bosch mit seiner Phantasie als künftiger Systemlieferant der Branche in dieser Woche endgültig abblies. Cybex kann damit seinen Anspruch als Innovationsführer unterstreichen und hat dazu beigetragen, dass kein Branchenfremder hart erarbeitete Deckungsbeiträge abzwackt.
Was bleibt ist die Erkenntnis, dass sich der aus der Fahrradbranche herbeizitierte Erfolg von E-Bikes zumindest bis heute nicht auf das Kinderwagensegment übertragen ließ. Kinderwagen schiebt man dank leichtläufiger Räder auf dem flachen Land ohnehin problemlos, ohne dass das den Eltern als ein Manko erschiene.
Und Emmaljunga ist zu wünschen, dass aus den enormen Investitionen in das Projekt zweier ungleicher Partner zumindest manche Verbesserungen bleiben, da für einen E-Antrieb unter anderem Federungen und Bremsen neu zu konzipieren waren.
Gestern informierte man die Mannschaft von und in Emmaljunga – und entfernte das 60 Meter lange Poster von der Fabrik. Da Nachhaltigkeit im Unternehmen groß geschrieben wird, wäre es zu wünschen, das aus dem Material Fahrradtaschen gefertigt und mit einem selbstbewussten Augenzwinkern auf der nächsten Kind + Jugend als Give-aways überreicht werden.
Der E-Stroller von Bosch ist zwar tot. Aber ein Stück weit werden künftig in jedem Emmaljunga-Wagen Innovationen des Projekts fortleben – Raumfahrtforschung und Teflon-Pfanne lassen grüßen.*
* Korrekterweise soll angemerkt werden, dass es ein Mythos ist, nach der die Teflon-Pfanne ein Ergebnis der Raumfahrtforschung sei. Tatsächlich wurde Teflon 1938 von Roy Plunkett (1910–1994), einem Mitarbeiter des Chemiekonzerns DuPont, entdeckt.
1954 wurde erstmals eine Pfanne mit dem Material beschichtet . Auch in die Raumfahrt gelangte das Material zur Kabelisolierung unter anderem in den Apollo-Mondlandekapseln. Vermutlich hat das große Interesse an der Mondlandung 1969 dazu beigetragen, den Mythos entstehen zu lassen.