Erzieherische Kapitulationen

Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.
Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.

Nachher ist man immer klüger. Das gilt auch in der Kindererziehung. Von manchen Erziehungsvorsätzen bleibt erschreckend wenig übrig. Ich nenne sie meine erzieherischen Kapitulationen. Papa streckt die Waffen, Lottchen hat gewonnen, oder Disney, der Fernseher, die Süßwarenindustrie. Je nachdem. Als ich einen Freund fragte, wie viele Grundsätze er über den Haufen geworfen habe, meinte er, es wäre einfacher über die Erfolge zu sprechen, die Liste wäre entschieden kürzer. So ist es auch bei mir. Mit den Kapitulationen bekomme ich mehrere Kolumnen voll, mit den Erfolgen nicht mal eine. 

Die erste Kapitulation begann schon bei Lottchens Geburt. Ich wollte es mit der „Mädchen“-Farbe Rosa nicht übertreiben. Vielleicht stehen dem Kind ja auch andere Farben gut, Gelb oder Grün zum Beispiel. Ich weiß nicht, wie es dazu kam, aber Rosa ist heute eindeutig die dominierende Farbe in Lottchens Kinderzimmer. Das Bett ist rosa, die Tapete violett-geblümt und im Kleiderschrank überwiegt ein rosa-rot-beiger Grundton. Auch die Puppen haben ein Faible für Rosa. Ich habe das Zeug zwar größtenteils bezahlt, aber offenbar kaum Einfluss darauf. 

Von Anfang an verhindern wollte ich, dass Lottchen eines dieser Ballerina-Mädchen wird. Das war mir zu puppig, zu künstlich, zu sehr Prinzessin. Sie werden es erahnen: Lottchen will Ballerina werden. Sie liebt die leichten Tüllröcke, natürlich in Rosa, bewegt sich wie eine süße kleine Tänzerin – und hört dazu Tschaikowskis Nussknacker. Ausgerechnet ich hatte ihr eine TV-Inszenierung der Moskauer Oper vorgespielt und sie schaute geschlagene 90 Minuten fasziniert zu. Seither schwebt sie in Trippelschrittchen durchs Wohnzimmer und ich assistiere ihr als Prinz, der sie hochheben darf. Wegen Lottchens Begeisterung habe ich meine Meinung übrigens revidiert. Wenn Mädchen unbedingt Ballerina sein wollen, haben sie meinen Segen. 

Wie sehr ich gegenüber der Süßwarenindustrie auf verlorenem Posten stehen würde, wurde mir erst später klar. Wir wollten von Anfang an keinen Millimeter Terrain preisgeben und verschwiegen Lottchen schlicht, dass es so etwas wie Süßigkeiten überhaupt gibt. Das ging zwei Jahre gut, bis ein Sommerurlaub mit den Cousinen die Dämme brechen ließ. Zu einem Strandurlaub gehört nun mal auch Erdbeereis. Seither fordert Lottchen notorisch etwas Schokoladiges. Das erzieherische Hauptproblem ist auch hier die eigene Inkonsequenz. So ein Pralinchen eignet sich doch wunderbar als Belohnung für „braves“ Verhalten: Zimmer aufräumen oder Teller leer essen. Das ist praktisch, aber ein Fehler. Denn die Kinder werden damit auf Schokolade geradezu konditioniert. Sie wird zur Krönung eines Kinderlebens. Nach Schokoladen-Orgien wie Weihnachten oder Ostern vereinbaren wir eine Schokopause, die Lottchen streng überwacht, denn die gilt auch für Papa und Mama. Das funktioniert zwei, drei Wochen lang gut, bis wir alle wieder schwach werden. 

Ähnliche Mechanismen wie bei Süßigkeiten gibt es auch beim Fernsehen, und ähnlich verlief auch meine Kapitulation. Anfangs hatten wir schlicht kein TV-Gerät, das machte es einfach. Aber weil wir selbst allzu oft wie Bekloppte auf unsere Laptops starren, hängt Lottchen natürlich auch davor und irgendwann bekam sie mit, dass es Serien wie Biene Maja oder Peppa Wutz gibt. Unsere Erfahrung ist, dass alles schädlich ist, was länger als 30 Minuten dauert. Lottchen wird dann unruhig und aggressiv. Ich klappe dann den Laptop zu, ertrage das Protestgeschrei und weiß: Jetzt gehört Lottchen einfach wieder mir. 

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