Mädchen sind Mädchen

Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.
Max A. Höfer war Assistent des Publizisten Johannes Gross, leitete das Politikressort des Wirtschafts­magazins Capital und wurde der Berliner Bürochef des Magazins. Heute ist er als Publizist tätig.

Mädchen sollen mutig sein wie Jungs, Jungs einfühlsam wie Mädchen – so lautet seit Jahrzehnten die pädagogische Sonntagspredigt. Mädchen sollen Fußball spielen und MINT-Fächer studieren. Ihre Vorbilder sind Heldinnen wie Rapunzel – neu verföhnt, wo Rapunzel alles braucht, nur sicher keinen Prinzen. Das mag manchmal witzig sein, wirkt in der Masse aber wie ein moralisches Dauerfeuer. Bei der Zeichentrickversion von Lassie muss die waghalsige Zoe ständig die Welt retten, während die Jungs brav danebenstehen und staunen.

Am schlimmsten treibt es Disney: Merida will nicht heiraten und kämpft lieber für weibliche Selbstbestimmung. Dabei fallen die Neuverfilmungen klassischer Märchen bei der Zielgruppe regelmäßig durch. Wie soll sich ein fünfjähriges Kind mit heutigen Märchenfiguren identifizieren – wenn Schneewittchen plötzlich trans ist, der König Windeln wechselt, die sieben Zwerge divers sind und der Prinz am liebsten weint?

Klassische Märchenfiguren haben immer noch die überzeugenderen Charaktere. Da müssen Mädchen keine männlichen Rollenbilder übernehmen, sondern agieren auf weibliche Weise: Gretel überlistet die Hexe, Aschenputtel widersetzt sich der Stiefmutter. Die Mädchen handeln – aber nicht mit Gewalt, sondern mit List, Beharrlichkeit, emotionaler Intelligenz und innerer Stärke. 

Wie im richtigen Leben. Wer Kinder auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof beobachtet, der erlebt dieselben Unterschiede, die es auch früher schon gab. Lottchen und ihre Freundinnen zieht es zum Schaukeln, sie balancieren oder spielen Gummitwist, oft in kleineren Gruppen, während Jungs häufiger raufen, lärmen, den Raum dominieren, oft in größeren Gruppen mit einem Anführer. Und wie früher spielen sie mehr mit Lego und Modellautos als mit Puppen und Bastelsets. Die große Umerziehung funktioniert einfach nicht. Kürzlich beobachtete ich auf dem Spielplatz einen Vater, der im Gespräch brav genderte, während seine Tochter mit einer Lillifee-Figur spielte und der Sohn mit einem Stock herumtobte. In solchen Momenten denke ich: Zum Glück ist die Natur stärker und setzt sich durch. 

Nach Lottchens Schwimmunterricht stürmen die Jungs mit nassen Haaren aus der Umkleide, die Klamotten durcheinander, Hauptsache raus. Ganz anders die Mädchen, sie bleiben länger, föhnen sich die Haare und zupfen sich die Kleidung zurecht. Lottchen ist stolz darauf, dass sie sich die Haare inzwischen ganz allein zum Pferdeschwanz binden kann. Schön auszusehen ist ihr wichtig. Morgens sucht sie ihre Kleider selbst aus, und nicht selten kommt es dabei zu Diskussionen, ob die Schuhe zum Outfit passen oder doch lieber gegen den angesagten Regen helfen sollen. Lottchen möchte Ballerina werden, und wenn ihr ein Song im Radio gefällt, tanzt sie zur Musik, als sei sie schon auf der Bühne. 

Beim Spielen mit ihren Polly-Pocket-Figuren geht es bei Lottchen oft um große Gefühle, beliebt sind prunkvolle Hochzeiten. Vor Kurzem inszenierte sie wieder eine: Die Braut hatte viel zu tun. Sie musste sich erst schminken, dann umziehen, dann noch mal umziehen und schließlich noch den Blumenstrauß suchen. Ich durfte – oder musste – den Bräutigam spielen. Der war, wie das bei Bräutigamen nun mal ist, schnell fertig. Also stand er da und wartete. Irgendwann hatte ich genug vom Warten und ließ meinen Bräutigam zur Konkurrenz überlaufen und machte einer anderen Puppe einen Antrag. Lottchen übernahm die neue Figur, blickte grinsend zu mir auf und ließ sie sagen: „Ich bin aber genauso zickig wie die andere.“ Soll keiner sagen, dass Mädchenspiele nicht auf das wirkliche Leben vorbereiten. 

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