Wurde da wirklich scharf kalkuliert oder nur versucht, den Kunden für dumm zu verkaufen? Seit Jahrzehnten werden für die meisten Konsumgüterpreise bis heute meist ungerade Schwellenpreise angesetzt. Forscher der Ruhr-Universität Bochum halten das Konzept für überholt.
Es scheint schon fest in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, dass nahezu jeder Händler, der seine Waren mit Preisen auszeichnet, einen gebrochenen Preis wählt. Dahinter steckt die Vermutung, der Konsument würde hinter einem derart bepreisten Produkt einen scharf kalkulierenden Händler vermuten – und dadurch noch leichter zum Kauf animiert werden. Hat der Kaufmann bei einem mit 9,99 Euro ausgezeichneten Babybody nicht wirklich noch den letzten Cent aus der Kalkulation gepresst? Ist das nicht ein wahres Schnäppchen?
Die Methode der gebrochenen Preise
Die hinter dieser Auszeichnungsweise liegende Methode der gebrochenen Preise zielt, recht theoretisch formuliert, auf eine Gewinnmaximierung über eine nur marginale Mikroanpassung der Preisstruktur ab. Sie stützt sich dabei auf die Annahme, dass die Kunden nicht gerne rechnen. Daher würden sie bei einer anstehenden Kaufentscheidung nur die ersten zwei Ziffern des Preises betrachten. Demnach liege die für den Konsumenten relevante Information eines Preises eher in den vorderen als in den hinteren Ziffern. Es komme also, anders gesagt, darauf an, den harten Eurobetrag eines Preises niedriger ausschauen zu lassen als den kleinteiligen Centbereich. Reduziert der Händler seinen Preis also nur um einen Cent, verringert er die Größenordnung – optisch – um einen ganzen Euro. So wird beispielsweise ein Preis von 16,99 Euro eher als 16 denn als 17 Euro wahrgenommen.
Dazu kommen noch Schwellenwerte aus dem hierzulande verbreiteten Zehner-System, das in Fünfer- und Zehner-Schritte untergliedert ist. So rutscht ein Preis von 14,99 Euro unter die Schwelle von 15 Euro. Oder es reduziert Preise von 9,99 Euro beziehungsweise 99,99 Euro den Gesamtpreis um eine volle Ziffernstelle.
Die Preisstrategie der gebrochenen Preise vermutet, dass Kunden bei der Bewertung der Preise ein Zeitproblem hätten. Die Bewertung jeder zusätzlichen Preisziffer ist mit Zeitaufwand verbunden, was dazu führt, dass die ersten Ziffern entscheidender sind als die letzten. Betrachten wir den Gedanken anhand eines Beispiels: Wenn ein Verbraucher den Preis „1.749,99 Euro“ analysieren muss, dann enthält die erste Ziffer bereits über 50 Prozent der tatsächlichen Preisinformation, denn „1.000 Euro“ stellen fast 60 Prozent der Information des tatsächlichen Preises dar. Diese Ziffer der Zahl sollte der Verbraucher also lesen und wahrnehmen. Die folgende Ziffer „7“ steht immerhin noch für 40 Prozent der Bedeutung des Preises. Daher wird der Verbraucher auch diese Zahl lesen. Die dritte Ziffer hingegen, die für 40 Euro steht, umfasst nur noch 2 Prozent der gesamten Preisinformation und fällt kaum noch ins Gewicht.
Diese Methode zur Preisgestaltung ist weit verbreitet und dürfte jedem bekannt vorkommen. Schon 1997 veröffentlichte beispielsweise eine Forschergruppe um Judith Holdershaw in der Studie „The widespread of use of odd pricing in the retail sector“, dass 90 Prozent der in Neuseeland untersuchten Preise mit einer Zahl über 5 und 60 Prozent davon mit einer „9“ enden. Und so sind auch in unsere Geschäften neben der x,99 häufig Auszeichnungen wie x,95 oder x,98 zu finden. Im kleinpreisigen Lebensmittelmarkt ließe sich eine Preisschablone leicht nach dem Schema „x,x(5|8|9) Euro“ zeichnen.
Alles ein Irrtum?
Doch ganz gleich, ob der Effekt auf der emotionalen Einschätzung einer als spitz kalkuliert wahrgenommenen Konsumentenvermutung beruhte oder aber auf ein rationales Verhalten des abnehmenden Grenznutzens bei einer Preiseinschätzung – eine neue Studie der Wirtschaftswissenschaftler Jan Wieseke und Laura Marie Schons von der Ruhr-Universität Bochum zeigt, dass runde Preise für Konsumenten attraktiver sind und in der Folge zu mehr Umsatz führen. Die Autoren der Studie argumentieren, dass es Unternehmen den Konsumenten absichtlich schwer machen würden, wenn diese die Preise im Kopf verarbeiten sollen. Denn gerade ungerade Preise müssten im Kopf erst umgerechnet werden und erhöhen damit den Einkaufsstress. Unternehmen sollten es ihren Kunden viel lieber möglichst einfach und komfortabel machen. Und so wären „runde Preise für die Konsumenten attraktiver“, fasst Wieseke zusammen, und führen „in der Folge zu mehr Umsatz“.
Nach Ansicht der Forscher führen zwei Trends zu dem Wettbewerbsvorteil bei Formulierung runder Preise: Zum einen führe der Convenience-Trend dazu, dass sich Konsumenten in allen Lebensbereichen, also auch beim Vorgang des Shoppens, nach mehr Bequemlichkeit sehnen. Immerhin beschrieben sich heute „75 Prozent aller Konsumenten als sogenannte Convenience-Shopper,“ erklärt Wieseke. Zum anderen machten die Bochumer Forscher den alltäglichen Zeitdruck als Ursache aus. Die Befragung von 15.000 Konsumenten ergab: Ist der Zeitdruck bei einer Kaufentscheidung größer, werden eher Produkte mit runden Preisen gewählt. Wer also auf komplizierte Nachkommastellen verzichtet, macht es dem heutigen Kunden einfacher. Und der dankt es einem mit mehr Umsatz.
Mit einem Funken Psychologie
Hinter runden Preisen steckt aber nicht nur eine Stressreduktion und weniger Wechselgeld im Portemonnaie. Auch ein psychologischer Kniff gerät in das Preisauszeichnungskonzept hinein. Dieser ist nicht mehr das Momentum der scharfen Kalkulation, sondern des ehrlichen Produkts. Einige Befürworter runder Preise begründen ihre Vorgehensweise damit, dass sie so vermitteln wollten, keine versteckte Tricks anzuwenden. Nüchtern betrachtet, bieten so begründet beide Ansätze Angriffspunkte, diese als psychologische Manipulation der Konsumenten zu verstehen.
Sicherlich stellt der Handel nicht sofort von gebrochenen auf runde Auszeichnungen um, bedeutete es doch, ein seit Langem geltendes Gesetz aufzugeben. Auch können andere Gründe dagegen sprechen. Denn Schwellenpreise dienen ebenfalls dazu, sich preislich von der Konkurrenz abzuheben. Bei runden Preisen bietet ein Wettbewerber mit einem x,99er-Preis einen kleinen Vorteil. Einleuchtend also, dass Anbieter im preisvergleichenden Internet vermutlich weiterhin einen Kampf um gestresste Schnäppchenjäger austragen müssen.