Durchoptimierte, uniforme Sortimente bergen eine gewaltige Sprengkraft.

Thomas Wetzlar ist seit vielen Jahren für den italienischen Kinderschuhhersteller Falc tätig und verkauft bis heute dessen Marken wie Falcotto und Naturino. 2017 startete er die Kinderschuh Ordertage und richtet derzeit sieben Termine in Deutschland und der Schweiz aus.

Childhood Business: Herr Wetzlar, die ersten drei von insgesamt sieben Veranstaltungen Ihrer im letzten Jahr gestarteten Kinderschuh Ordertage liegen mittlerweile hinter Ihnen. Wie fällt Ihr Zwischenfazit zur Stimmung im Markt aus?

Thomas Wetzlar: Die Kinderschuh Ordertage werden mit großem Enthusiasmus aufgenommen und das Feedback ist durchweg positiv. Es bestätigt sich einmal mehr, dass unsere Veranstaltungsreihe das richtige Angebot macht, und wir sind sehr froh über den großen Zuspruch. Vor allem Kinderschuhspezialisten haben sich dem Vernehmen nach in den zurückliegenden Monaten sehr gut geschlagen und blicken mehrheitlich auf ein erfolgreiches Jahr 2018 zurück. Dennoch sind in vielen Gesprächen auch Sorgen in Bezug auf die weitere Entwicklung herauszuhören. Die Unsicherheit nimmt zu.

CB: Insgesamt beteiligen sich rund 60 Marken. Für welche Schuhsegmente bieten die Kinderschuh Ordertage Einkäufern eine besonders breite Auswahl? Und in welchem Bereich würden Sie sich für die Zukunft noch mehr Anbieter wünschen?

TW: Die Kinderschuh Ordertage bieten ein spannendes und breites Markenspektrum und bilden gleichzeitig alle Verkaufspreislagen ab, vom Fashion-Sneaker für 40 Euro bis hin zum Lederschaftstiefel aus einer italienischen Manufaktur für 200 Euro. Alle bei uns teilnehmenden Marken haben einen treuen Kundenkreis und begeistern die Endverbraucher teils bereits seit Generationen.

Dem Einzelhandel bieten sich auf den Kinderschuh Ordertagen tolle Chancen, seine Sortimente aufzufrischen und mal wieder neue Impulse zu setzen. Das Einerlei in vielen Einzelhandelssortimenten ist schließlich einer der Hauptgründe für die anhaltenden Frequenzverluste im stationären Einzelhandel.

CB: Große Anbieter wie Geox, Lurchi, Ricosta, Richter oder Superfit sind nicht dabei. Wie kommt das eigentlich?

TW: Ich kann natürlich nur mutmaßen, aber es hat den Anschein, dass manche Anbieter durch Abwesenheit glänzen, um den eigenen Showrooms und Orderzentren die größtmögliche Exklusivität zu verschaffen. Sie entziehen sich dem messetypischen Wettbewerb, weil sie nicht riskieren möchten, dass die bestehende Kundenbindung aufweichen und die Kundschaft zur Konkurrenz abwandern könnte. Und so bleiben manche namhafte Anbieter Veranstaltungen wie den Kinderschuh Ordertagen und der Gallery Shoes bewusst fern. Die Kinderschuh Ordertage wachsen zur relevantesten Plattform für Kinderschuhe heran und wir möchten allen Marken die Möglichkeit geben, sich unseren Besuchern zu präsentieren. Auch die von Ihnen genannten Brands sind uns natürlich herzlich willkommen.

CB: Dieses Jahr gastieren Sie zum ersten Mal in Zürich. Ist der Schweizer Markt groß genug für ein eigenes Event?

TW: Wir sind vielfach auf eine Veranstaltung in der Schweiz angesprochen worden und kommen dem Interesse gerne nach. Der Schweizer Markt ist sehr facettenreich und das Interesse an Mode sowie schönen Schuhen groß. Wir freuen uns sehr darauf, in Zürich erstmals Station zu machen! Letztlich werden die Schweizer Einzelhändler darüber entscheiden, ob wir uns etablieren werden. Wenn der Wunsch nach mehr Vielfalt auf der Angebotsseite gegeben ist, wollen wir auch in Zürich gerne wachsen.

CB: Was können Schweizer Einkäufer auf dem Termin erwarten?

TW: Das Memox ist eine coole Veranstaltungs-Location und passt als Co-Working-Space auch thematisch gut zu den Kinderschuh Ordertagen. Wir treten mit einem spannenden Markenportfolio an. Außerdem sind die Schweizer Einzelhändler eingeladen, sich über das Ordern hinaus mit den Teilnehmern zu vernetzen und sich in entspannter Atmosphäre etwas besser kennenzulernen. Dazu kann man bei uns viele interessante Marken entdecken, denn darum geht es ja im Kern.

Der aktuelle Katalog zu den Kinderschuh Ordertagen mit einer Übersicht über alle Aussteller, Marken, Termine und Angaben zu den Orten – sowie redaktionellen Beiträgen.

CB: Wird es im Sommer weitere Stationen der Kinderschuh Ordertage geben? Und steht einer der Standorte zur Disposition?

TW: Wir werden im Sommer 2019 auch in Österreich Station machen. Derzeit evaluieren wir noch, ob wir nach Salzburg oder nach Wien gehen werden. Weiterhin führen wir Gespräche in Dänemark, den Niederlanden und in Italien. Dazu arbeiten wir gerade an einer spannenden Erweiterung unseres Konzeptes. Mehr kann ich dazu allerdings noch nicht verraten.

Die Rahmenbedingungen in Frankfurt am Main hingegen sind schwierig: Zum Termin im Januar waren Ferien und die Veranstaltung wurde allgemein als zu früh und als zu zentral in der Stadt gelegen empfunden. Viele unserer Teilnehmer hatten ihre Kollektion noch nicht fertig und konnten nicht mitmachen. Obendrein waren wir nach dem plötzlichen Aus der Kids Now nicht nur unseres Messepartners beraubt, sondern auch mit einer neuen Veranstaltung, der Kids World Eschborn, konfrontiert.

Bei allem Enthusiasmus für einen Ausbau der Roadshow stellt sich für mich schon die Frage, ob wir in Frankfurt zusätzlich zur ANWR-Schuhmesse eine zweite Orderveranstaltung brauchen. Ohne die Anbindung an ein anderes Messeformat erscheint mir das derzeit wenig sinnvoll.

CB: Schaut man sich in Europa um, so gibt es zahlreiche Anbieter, die über Modemessen Zugang zum Markt suchen. Auf den Schuhmessen in Deutschland sind sie aber nicht zu finden. Woran liegt das?

TW: Der deutsche Markt wird im Ausland oft als sehr kompliziert empfunden. Wir sind sehr genau in Bezug auf Liefertermine, Qualität und Passform. Das schreckt viele Hersteller ab. Dazu genießen wir Deutschen nicht den Ruf, sonderlich aufgeschlossen für Neues zu sein. Auf der anderen Seite sind die Messeangebote in der Vergangenheit auch nicht sonderlich verlockend gewesen: Entweder war die Teilnahme sehr teuer oder man stellte als fünftes Rad am Wagen auf einer der vielen unabhängigen Regionalmessen aus.

Genau deshalb habe ich die Kinderschuh Ordertage ins Leben gerufen. Wer heute einen Zugang zum deutschen Markt sucht, wird bei uns fündig und kann in einem tollen Kollegenkreis und Ambiente nicht nur Händler, sondern auch Agenten kennenlernen. Und das alles zu einem konkurrenzlos günstigen Preis.

CB: Wie würden Sie den deutschen Handel – in Bezug auf Kindershuhe –
beschreiben? Wo steht er heute?

TW: Gerade die Kinderschuh-Fachgeschäfte behaupten sich gut und scheinen mit ihrer Fach- und Beratungskompetenz viele Eltern zu begeistern. Gleichzeitig leidet der gesamte Einzelhandel unter einer dramatischen Marktübersättigung, während der Endverbraucher klarstellt, eben nicht nur Beratung und Unterstützung zu suchen, sondern auch Auswahl und Warenverfügbarkeit – und Letzteres oft höher bewertet als den persönlichen Kontakt im Geschäft.

Durchoptimierte, uniforme Sortimente bergen eine gewaltige Sprengkraft für Einzelhandel und Industrie. Der Markt agiert mit einem Geschäftsmodell aus dem vorletzten Jahrtausend – vielleicht sollten wir langsam beginnen, Einzelhandel neu zu denken, und die Akteure in ihren Kernkompetenzen stärken, anstatt sie immer weiter zu verbiegen und die Verengung auf das Produkt und den Preis noch weiter voranzutreiben. Es ist schon abenteuerlich, dass Einzelhändler immer mehr zu Fulfillment-Dienstleistern von Online-Marktplätzen werden sollen. Das wird nicht gut gehen.

CB: Was empfehlen Sie Fachhändlern, die bei Ihnen Rat suchen, um sich vor dem aktuellen Hintergrund moderner aufzustellen?

TW: Einzelhändler sollten fragen, was sie gut können und auf welche Weise sie einen nachhaltigen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Wenn sie diese Analyse abgeschlossen haben, können sie gemeinsam mit ihren Lieferanten besprechen, wie sich ihr individueller Zugang zum Endverbraucher zum gemeinsamen Nutzen aktivieren lässt. Lieferanten und Händler agieren zu Recht an unterschiedlichen Stellen in der Wertschöpfungskette – gemeinsam sind sie viel stärker, als wenn jeder bloß Selbstoptimierung betreibt.

CB: Allerorten heißt es: mehr Erlebnis im Handel schaffen! Wie kann so etwas im Kinderschuh-Fachhandel aussehen?

TW: Die vielfältigen Aktivitäten in Social Media und das große Informationsbedürfnis der Endverbraucher unterstreichen, dass diese viel mehr suchen als hübsch gemachte Lager mit einer Kasse und Aufräumpersonal. Die Kunden möchten in Markenwelten eintauchen und inspiriert werden. Sie suchen Abwechslung und Vielfalt, Warenverfügbarkeit und Kundenservice. Solche Aktivitäten müssen vorbereitet und geplant werden, hier stoßen wir mit dem herkömmlichen Geschäftsmodell schnell an Grenzen. Die Kinderschuh Ordertage bieten eine Plattform, um diesen Austausch zu betreiben und mehr Abwechslung und Vielfalt in die Sortimente einziehen zu lassen.

Gleichzeitig wird der Einzelhandel seinen wertvollen Zugang zum Konsumenten nicht alleine aufrechterhalten können. Es sind neue Kooperationsmodelle und Technologien gefragt, die die Mittel unserer Zeit nutzen und moderne Logistikprozesse auch im stationären Einzelhandel verankern. Es macht in der heutigen Zeit doch überhaupt keinen Sinn mehr, Waren in vollem Umfang dezentral an jedem Standort bereitzuhalten. Und Abverkaufsquoten von unter 70 Prozent sowie die hohen Abschriften auf die Ware müssen uns alle mahnen, dass es so natürlich nicht auf Dauer weitergehen kann. 

 

Weitere Infos zu den Ausstellern und Marken zu den jeweiligen Standorten der Kinderschuh Ordertage Anfang 2019 gibt es im offiziellen Messekatalog hier.

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Hier shoppt man gern: In Berlin bot sich im Sommer 2018 mit den „Kinderschuh Ordertagen“ die interessanteste Orderkulisse.

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