„Trittbrettfahrer-Mentalität mancher Hersteller.“ 

Hallendurchblick Halle 10.1

CHILDHOOD BUSINESS: Die Ausstellerzahlen der Kind + Jugend zeigen wieder nach oben. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf die Messe in 2023?

JÖRG SCHMALE: Wir starten mit einem sehr guten Eindruck in die Messe. Sehr viele bekannte Marken mischen sich mit vielen kleinen, aber sehr innovativen Herstellern. Ein bunter Mix, der für sehr viel Aufbruchstimmung bei den Händlerinnen und Händlern sorgen dürfte. Nachdem bereits 2022 zahlreiche Marken auf die Kind + Jugend zurückgekommen sind, sind es in diesem Jahr noch einmal mehr. Und ich bin sicher: Im nächsten Jahr wird es noch umfangreicher werden.

CB: Auffällig sind die vielen Anbieter aus China. Welche Rolle spielen die Anbieter aus Fernost für die Messe – wirtschaftlich, aber auch in Bezug auf das Angebot für den durchschnittlichen Fachbesucher?

Jörg Schmale ist seit 2017 Projektleiter der Kind + Jugend
Jörg Schmale ist seit 2017 Projektleiter der Kind + Jugend

JS: China war bei uns traditionell schon immer sehr stark vertreten. Viele Markenartikel werden in China produziert, vor allem Spielwaren. Aber auch bei Kinderwagen oder Kindersitzen kommt vieles längst aus Fernost. Insofern gibt es in der Baby- und Kleinkindbranche schon eine lange Beziehung zu diesem Markt. Inzwischen sind diese Unternehmen zu echten Wettbewerbern geworden, und wer die asiatischen Anbieter ernst nimmt, ist gut beraten.

CB: Im Automotive-Bereich, vor allem bei den E-Autos, kommen starke Impulse und Marken aus China. Ist das eine Entwicklung, die Sie auch für den Hartwarenbereich erwarten?

JS: Das ist nicht auszuschließen. Wir stellen fest, dass asiatische Firmen mittlerweile beim Innovation Award gewinnen und auch qualitativ überzeugen. Allerdings haben wir auch nach wie vor viele deutsche und europäische Start-ups, die unglaublich kreativ sind und den Markt immer wieder neu bereichern.

CB: Seit Jahren pushen Sie das Thema „Smarte Technologie“, denn im Alltag sind jenseits von Babyphones und manchen Apps wenige konkrete Anwendungen zu sehen. Verschläft das die Branche – oder der Konsument?

JS: Smarte Technologie ist immer nur so smart, wie sie Eltern das Leben mit ihren Babys und ihren Kindern erleichtert oder komfortabler macht. Sie muss vor allem einfach zu bedienen und sicher in der Anwendung sein. Eltern sind sehr sensibel, wenn es um WLAN oder Bluetooth im Kinderzimmer geht, obwohl das in jeder Wohnung längst selbstverständlich ist. Manchmal sind die Einsatzmöglichkeiten auch begrenzt. Ein elektrisch angetriebener Kinderwagen hilft zwar bergauf, ist in der Ebene aber wegen des Akkus schwerer.

Zum Innovation Award 2023 werden alle Nominierten und Preisträger auf einer Sonderfläche vorgestellt.
Zum Innovation Award 2023 werden alle Nominierten und Preisträger auf einer Sonderfläche vorgestellt.

CB: Sie haben dieses Jahr in einem Statement auch das Thema „Mieten statt kaufen“ hervorgehoben. Hinzu kommt, dass derzeit auch der Secondhand-Markt wächst. Sehen Sie hier Chancen oder Risiken für die Branche? Und ließen sich diese Trends auch in eine Kind + Jugend integrieren?

JS: Zunächst ist jede längere Nutzung von Produkten, die schwer zu recyclen sind, ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit. Insofern liegt eine Chance im Verleih, wenn das Produkt wiederaufbereitet und mehreren Elternpaaren nacheinander zur Verfügung gestellt werden kann. Dies gilt umso mehr, weil es in Europa immer mehr Ein-Kind-Familien gibt, in denen die Kinderausstattung nach Gebrauch nicht selten im Müll landet.

Ich persönlich halte das Risiko für die Branche aber für überschaubar. Diejenigen, die auf Mietmodelle zurückgreifen, haben die Ausrüstung auch in der Vergangenheit schon eher gebraucht gekauft und freuen sich nun über die Aufbereitung. Das ist meines Erachtens allerdings ein reines  ema des Handels, über das man auf der Kind + Jugend diskutieren wird. Eine Sonderfläche oder ähnliches ist dafür aber nicht geplant.

CB: Irgendwie scheinen so manche Anbieter aus Deutschland und Westeuropa den Weg zur Messe immer noch nicht zurückzufinden. Gefährdet das am Ende nicht den Messestandort ein Stück weit?

JS: In der Tat fehlen uns in diesem Jahr vor allem viele Anbieter aus England. Auch aus Italien und Spanien hätten wir uns noch etwas mehr Zuspruch erhofft. Während es in England vor allem logistische Hemmnisse sind, sind es in Südeuropa oft wirtschaftliche Gründe. Das muss man akzeptieren, auch wenn es weh tut. Mit knapp 1.000 Ausstellern aus fast 50 Ländern haben wir aber wieder eine Veranstaltung, die hervorragend aufgestellt ist. Die Besucherinnen und Besucher werden inhaltlich nichts vermissen, wonach sie suchen. Im Gegenteil: Sie werden viele neue Hersteller entdecken, die interessant sind, die sie aber bisher noch nicht auf dem Schirm hatten.

Cybex: (Doch nicht wirklich) wieder da!
Cybex: (Doch nicht wirklich) wieder da!

CB: Einstige Aussteller wie Bugaboo, Cybex, Maxi-Cosi oder Stokke bleiben der Messe – als Aussteller – fern, suchen aber die räumliche und zeitliche Nähe zur Kind + Jugend. Cybex mietet sich zwar wieder ein, aber deutlich kleiner. Wie sehen Sie die Shuttle-Veranstaltungen rund um Ihr Haus?

JS: Zunächst: Cybex bleibt nicht fern, sondern konzentriert als Aussteller sein Angebot auf kleinster Fläche [Nach eigene Aussagen ist Cybex nicht Aussteller, da keinerlei Angebot vorgestellt wird. Der angemietete Konferenzraum deine “internen Meetings”. Anm. d. Red.].

Der Handel und damit auch wir freuen uns über jede Marke, die vor Ort ist – da spielt die Größe erst einmal keine Rolle. Völlig inakzeptabel ist allerdings die Trittbrettfahrer-Mentalität mancher Hersteller, die versuchen, Besucherinnen und Besucher von den Ständen solcher Aussteller abzuziehen, die für die Veranstaltung und die Einladung bezahlt haben.

Wo immer es möglich ist, versuchen wir dies zu unterbinden. Mit Stokke sind wir seit Jahren im Gespräch, bisher leider ohne Erfolg.

CB: Fehlen namhafte Marken, hört man von Fachbesuchern, dass sie einen Besuch noch stärker abwägen. Zugleich haben die Hersteller neue Wege der digitalen Interaktion erschlossen und nutzen diese verstärkt. Wie kann man dieser Fragmentierung in der Zielgruppenansprache entgegenwirken?

JS: Auch wir sind in der Pandemie digitale Wege gegangen und haben damit zunächst einige Erfolge erzielt. Wir haben aber auch festgestellt, dass die Möglichkeiten der digitalen Interaktion begrenzt sind. Menschen möchten sich persönlich tre en, austauschen und sich in die Augen sehen, bevor sie eine langfristige Geschäftsbeziehung eingehen. Zudem muss man einen Kinderwagen anfassen, um festzustellen, wie gut er wirklich ist. Die digitale Ansprache ist gut, aber sie kann den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.

CB: Digitale Messeplattformen scheinen nicht so recht durchzustarten, wären aber umweltfreundlicher. Welche digitale Wege gehen Sie?

JS: Natürlich wäre es nachhaltiger, würden wir nur noch digitale Beziehungen p egen. Aber das will niemand. Messen sind aber schon deshalb nachhaltig, weil sie es ermöglichen, viele Firmen auf einmal zu besuchen, anstatt jede einzeln mit dem Auto oder Flugzeug anzusteuern.

Vor Ort eröffnen sich mit der Kind + Jugend-App darüber hinaus neue Wege der Kontaktanbahnung. So kann man per Handyscan einfach seine Daten austauschen. Die Besucherinnen und Besucher  finden sämtliche Informationen über die Aussteller in unserer App. Zukünftig wird es möglich sein, dass die Besuchenden auf Wunsch Push-Informationen über die für sie interessanten Unternehmen erhalten. Wir nennen das „Lead + Meet“.

CB: Schauen wir noch kurz auf das kommende Jahr: 2024 verabschieden Sie sich vom Wochenende …

JS: Das Wochenende wurde vom Handel während der Kind + Jugend schon immer wenig genutzt. Dieser Umstand hat sich noch verschärft: Der Babyausstattungshandel macht am Wochenende – konkret am Freitagnachmittag und am Samstag – seinen größten Umsatz. Zu dieser Zeit lässt man sein Geschäft nicht im Stich.

Wir sind mit dem Fachbeirat, dem Ausstellende sowie Fachhändlerinnen und Fachhändler angehören, übereingekommen, dass es dem Handel sehr entgegenkommt, wenn wir ihm das Wochenende für seine Kundschaft lassen und den Fachaustausch mit den Herstellern in die Woche verlegen.

CB: Andere Messen bieten noch stärker kuratierte Bereiche für junge Marken. Können Sie sich neue Impulse vorstellen?

JS: Mit den internationalen Start-ups und den deutschen „Jungen Innovativen Unternehmen“ sind bereits junge Marken mit kreativen und sehr nützlichen Produkten und Konzepten auf der Kind + Jugend dabei.

Darüber hinaus trifft sich jedes Jahr eine internationale und unabhängige Expertenjury, um über die innovativsten Produkte der Messe zu diskutieren und die Gewinner in acht verschiedenen Kategorien mit dem Innovation Award zu küren.

Mit Sara Urbainczyk, der Gründerin von Echte Mamas, haben wir in der Jury erstmals auch die Consumer-Sicht auf die Produkte.

In diesem Jahr gibt es zudem eine Sonderauszeichnung. Erstmals vergibt eine Hebammenjury von Hebammen-testen.de den Midwives’s Choice Award für das aus ihrer Sicht innovativste und nützlichste Produkt. Und so überlegen wir immer wieder neu, welchen zusätzlichen Mehrwert wir dem Handel bei einem Besuch der Kind + Jugend bieten können. 

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Original aus CHildhood Business:

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