Die erste Runde des Kopf-an-Kopf-Rennens geht an Cybex. Mit dem Launch des e-Priam ist der erste elektrogetriebene Kinderwagen im Markt. Doch Emmaljunga steht ebenfalls in den Startlöchern – beide könnten bei Erfolg ein lukratives Segment schaffen.
Zum Straßenbild gehören mittlerweile immer mehr elektronisch angetriebene Fahrzeuge. Was sich als zunächst belächeltes Novum dann doch mit einer enormen, vor allem auch für den Handel äußerst erfreulichen Durchsetzungskraft im Fahrradbereich mit den E-Bikes etabliert hat, greift nun auf immer mehr rollende Produkte über. In Großstädten gehören Elektro-Tretroller, sogenannte E-Scooter, die durch eine entsprechende Verordnung seit dem 15. Juni 2019 per Gesetz erlaubt sind, nach nur wenigen Wochen zu den nahezu allerorten anzufindenen Mobilitätslösungen.
Carsharing bereitete den Boden für die massenhafte Verbreitung immer neuer Leihprodukte, vorzugsweise solcher, die elektrogetrieben sind. Fahrräder waren gestern, E-Bikes und auch E-Mopeds ergänzen das neue Szenario, in das nun auch noch die E-Scooter vorstoßen.
Der Boden also scheint bereitet. Die Auffassung, dass e-getriebene Fortbewegungsmittel nicht etwa ein Gimmick für Fußkranke sind, sondern ein zeitgemäßes, smartes und bequemes Convenience-Produkt, ist allgemein akzeptiert. Der Run auf die E-Bikes in Deutschland hält unvermindert an, wie Zahlen aus dem letzten Jahr des Zweirad-Industrie-Verbandes bestätigen, nach denen im letzten Jahr hierzulande fast eine Million elektrisch unterstützte Fahrräder verkauft wurden. Damit beträgt ihr Anteil am gesamten Fahrradmarkt in Deutschland 23,5 Prozent.
Interessant ist, dass die deutlich höheren Preise dem E-Bike-Boom wenig anhaben können. Zu den Gründen für die Attraktivität zählen Branchenexperten, die neuen Möglichkeiten im digitalen Bereich die innovative Weiterentwicklung in der Antriebs- und Batterietechnologie und die interessanten Geschäftsmodelle rund um das E-Bike, zu denen Leasing oder Sharing gehören.
Vom Kinderwagen zum E-Stroller
Nachdem erste smarte Technologien Eingang in Autositze für Babys und Kleinkinder gefunden haben, scheint auch der Kinderwagenbereich an der Schwelle zu einem Paradigmenwechsel zu stehen. Bisher müssen Eltern tagein, tagaus aus eigener Muskelkraft den Nachwuchs durch die Stadt, über Land und auch manchen Hang oder manche Steigung hinaufschieben. Hersteller innovierten vornehmlich durch drehbare Vorderräder, Klappmechanismen und höhenverstellbare Schiebegriffe, garniert durch immer exotischere Namen für am Ende meist doch sehr ähnliche, gedeckte, dunkle Bezugsstoffe und eine immer größere Auswahl inidividualisierbarer Ausstattungsvarianten.
Doch zur letzten Kind + Jugend im September 2018 machten gleich zwei Hersteller durch eine Antriebsneuerung von sich reden: Cybex und Emmaljunga. Beide Anbieter hatten Prototypen einer neuen Kinderwagengattung vorgestellt, die sich dadurch auszeichnet, auf eine elektrisch unterstützte Hinterachse zu setzen. Doch was vor Jahren noch ein einfach zugeschalteter Batteriemotor gewesen wäre, stellt sich dank des technologischen Fortschritts als ein erstaunlich komplexes Antriebsmodul dar, das bereits in den ersten (fast) marktreifen Modellen nicht nur Elektromobilität erlaubt, sondern obendrein durch Sensoren Situationen erkennt und die Antriebsunterstützung möglichst harmonisch und vollautomatisch an die Anforderungen anpasst.
Dabei unterscheiden sich die Entwürfe in gestalterischer und technischer Hinsicht so stark voneinander, dass sich schon heute ein Vergleich mit der Entwicklung von Videokassetten aufdrängt. So, wie es Anfang der 1980er-Jahre Betamax, VHS oder Video 2000 hieß, wird sich vermutlich auch im Kinderwagenmarkt die Frage stellen, ob es die Ingenieure von Cybex oder jene von Emmaljunga mit ihrem Kooperationsparnter Bosch sind, die ihrem Antriebssystem zum künftigen Standard verhelfen werden.
Denn wer bereits im letzten September das Cybex-Modell, den „e-Priam“, am nur auf Einladung zugänglichen Stand von Cybex mit jenem in mehreren öffentlichen Shows von Emmaljunga und Bosch präsentierten „NXT90e“ verglich, dem fielen nicht nur äußerliche Unterschiede auf. Denn so unterschiedlich beide Unternehmen das neue Technologiekennzeichen „e“ in ihre Modellnamen integrieren, so verschieden sind auch die Entwicklungsphilosophien.
Doch eines eint beide Anbieter: Sie sind ganz augenscheinlich den meisten Wettbewerbern voraus. Was der eine in Fernost pressen, biegen und anodisieren lässt, um äußerst stylishe Kinderwagen hervorzubringen, und der andere seit 1925 ununterbrochen im wegen der Umweltvorschriften selbst den deutschen Ehrfurcht abringenden Werk in Schweden nach wie vor vollstufig produziert, wurde durch sensorische Elektronik verfeinert.
E-Antriebe für Kinderwagen zu entwickeln, ist nach Aussage der Ingenieure übrigens deutlich komplexer als für E-Bikes. Und die Kür liegt darin, dass der Anwender von der feinen Situationserkennung und fein darauf reagierenden Steuerung des elektrischen Antriebs im Grunde gar nichts mitbekommen soll. Nicht nur weil das technologischer Luxus ist, sondern weil ja auch die Kleinsten und Empfindsamsten unter den Erdenbürgern Fahrgäste sind.
Cybex ist Erster am Markt
Mit einigen Monaten Verspätung, doch zugleich mit ebensolchen Monaten Vorsprung hat Cybex Mitte Juni 2019 in Hamburg den neuen e-Priam der Öffentlichkeit vorgestellt. Und ab Juli soll die Auslieferung starten. Was an dem Modell auffällt, ist, dass auf den ersten Blick kaum etwas auffällt.
Das Entwicklungsteam um Produktmanager Dr. Nikolai Geissler hat die Sensorik, Antriebstechnologie und Batterie so geschickt in das bekannte Priam-Modell integriert, dass man lediglich den leicht größeren Hinterachsendurchmesser bemerken könnte. Sensoren sind unter anderem im Schiebegriff verbaut, während die zum Aufladen abnehmbare Batterie in die Achse integriert ist. Die Antriebssteuerung misst am Griff, ob geschoben oder gezogen beziehungsweise, zum Beispiel bergab, gebremst wird – und greift dann fein dosiert ein. Ein versehentlich auf abschüssiger Strecke losgelassener Kinderwagen wird allerdings nicht aktiv abgebremst, was – derzeit – ein bewusster Entwicklungsentscheid von Cybex ist.
Emmaljunga setzt mit seinem gemeinsam mit Bosch, dem aus dem Automotive-Bereich als Weltmarktführer bekannten Zulieferer, entwickelten Antriebsmodul auf etwas mehr Sichtbarkeit. Nicht nur der aus dem Baumarktbereich bekannte Bosch-Standardakku fällt ins Auge, sondern auch, dass der Wagen über zahlreiche Zusatzfeatures verfügt. Preislich scheint der Unterschied nicht so groß zu sein. Doch die Auslieferung startet erst Ende 2019. Es wird im Markt also spannend.