“Eine digitale Plattform braucht viel organisatorischen Vorlauf”

Im Juli 2021 erläuterte der für die Kind + Jugend verantwortliche Projektleiter Jörg Schmale im Interview, warum die Fachmesse für Babprodukte trotz geringer Anmeldezahlen in diesem Jahr auf jeden Fall stattfinden wird. Ein Statement, wie wir finden.

Childhood Business: In den letzten Wochen wurde mit Spannung auf die Kind + Jugend geschaut, da im Juni die Möglichkeit auslief, die Reservierung als Aussteller kostenfrei zu stornieren. Wie viel Adrenalin hat diese Zeit im Team der Messe freigesetzt? 

Jörg Schmale: Das Team der Kind + Jugend muss sich den Realitäten stellen. Und die sind nun einmal durch die Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen geprägt. Dass die Situation unsere Aussteller verunsichert, können wir nachvollziehen, auch wenn wir die Entscheidungen gegen eine Teilnahme an der Kind + Jugend 2021 wirklich sehr bedauern. 

CB: Mitte Juni teilten Sie mit: Die Kind + Jugend findet statt. Letztes Jahr noch nahm die Messegesellschaft Abstand von der Ausrichtung, auch aus Sorge vor der Resonanz auf eine Rumpfmesse. Dieses Jahr aber entschieden Sie anders. Was waren die Beweggründe? 

JS: Wir haben in diesem Jahr glücklicherweise eine andere Ausgangssituation als 2020: Die Impfkampagnen in den europäischen Ländern kommen gut voran, die Inzidenzwerte sinken stark. Die Menschen können wieder Urlaube und Business-Reisen planen. Vor allem dürfen die Messegesellschaften in Deutschland ab September wieder Veranstaltungen durchführen. Deshalb möchten wir ein Zeichen für den Re-Start setzen.

Mit der „Special Edition“ der Kind + Jugend gehen wir den ersten Schritt in Richtung Wiedereinstieg und Wiederaufnahme der „normalen“ Geschäftsaktivitäten in der Baby- und Kleinkindausstattungsbranche.

CB: Und wie hoch war der Buchungsstand letztes Jahr vor der Absage der Veranstaltung im Vergleich zu 2021? 

JS: Die beiden Jahre lassen sich nicht miteinander vergleichen. 2020 war ein Jahr, das uns kalt erwischt hat. Noch im Juni 2020 sind wir von einer baldigen Normalisierung ausgegangen. Am Ende mussten wir die Messe absagen, weil sich die Lage immer mehr verschärfte und uns die Ausrichtung schlicht untersagt wurde. Jetzt, nachdem die Zahl der Impfungen täglich steigt und die Infektionen europaweit zurückgehen, hellt sich der Himmel wieder auf. Für die Kind + Jugend leider etwas zu spät.

CB: Zahlreiche Aussteller wie aus China können vermutlich aufgrund der Quarantänebestimmungen bei der Rückreise nicht kommen. Aus welchen Regionen hätten Sie sich dennoch etwas mehr Resonanz erwartet? 

JS: Im Hinblick auf die internationale Beteiligung waren wir immer realistisch. Aktuell ist unser Kernmarkt Europa. Ob ein Unternehmen sich für eine Teilnahme an der Kind + Jugend entschließen kann, hängt von vielen und sehr unterschiedlichen Faktoren ab. Denken Sie zum Beispiel an Großbritannien: Anfang des Jahres Hochinzidenzgebiet und jetzt Variantengebiet. Da könnte man fast vergessen, dass es auch den Brexit und dessen Folgen gibt. Tatsächlich bestehen nach wie vor Unsicherheiten, wie sich dieser auf den Handel zwischen Großbritannien und den Ländern der EU auswirkt. 

CB: Für deutsche Aussteller wäre die Messe trotz allem eine Veranstaltung der kurzen Wege gewesen. Auch haben nach Ihrer jüngsten Befragung rund die Hälfte der zuletzt etwa 18.000 Besucher aus Europa ein Kommen in Aussicht gestellt. Kam das Ergebnis zu spät oder warum nehmen dennoch nur relativ wenige Unternehmen aus Deutschland teil? 

JS: Etwa zwei Drittel der Besucher auf der letzten Kind + Jugend kamen aus Europa, einschließlich Deutschland, das weitere Drittel aus Übersee. Ziel unserer Befragung war es, die generelle Stimmung zu erfassen. Mit über 1.000 Rückmeldungen, zwei Drittel davon aus dem Ausland, haben wir durchaus ein repräsentatives Ergebnis. Das hat uns wirklich sehr gefreut und uns auch darin bestätigt, dass sich die Branche die Kind + Jugend als Präsenzmesse zurückwünscht.

Allerdings konnten wir die Befragung nicht früher starten, sondern erst, als die allgemeinen Vorzeichen wie fortschreitende Impfung und zurückgehende Infektionen sie sinnvoll erscheinen ließen. Doch da hatten zahlreiche Aussteller – auch wegen der noch herrschenden Unsicherheit bei den Besuchern – bereits abgesagt.

CB: In den letzten Wochen hatten zwar noch eine Handvoll Aussteller zugesagt, aber mehrere Dutzend sind noch im letzten Moment abgesprungen. In Teilen nachvollziehbar, dennoch müssen Sie auch enttäuscht gewesen sein? 

JS: Natürlich haben wir lange gehofft, dass sich die Lage signifikant ändert und wir wieder zu einer „normalen“ Kind + Jugend zurückkehren können. Die Zahlen sahen ja auch sehr lange sehr gut aus. Erst in der zweiten Maihälfte gab es aber das langersehnte politische Licht für Messen ab September.

Solange Reiserestrik­tionen in Kraft und größere Veranstaltungen nicht erlaubt waren, konnten Planungen nur sehr zögerlich in Angriff genommen werden. Das galt auch für uns, und so gesehen kommt die Kind + Jugend jetzt sehr früh. Es ist uns aber extrem wichtig, mit denen, die weiterhin Interesse haben, im September mit der „Special Edition“ der Kind + Jugend ein positives Signal an die Branche und an den Markt zu geben und endlich wieder zur Face-to-Face-Kommunikation überzugehen, wo­nach sich alle so sehr sehnen.

CB: Knapp 250 Aussteller, das ist ein eher überschaubares Setting. Mit welchen Angeboten dürfen die Besucher rechnen? 

JS: Das Ausstellerfeld umfasst immer stärker die Bereiche Heimtextil, Dekoration und Bekleidung. Aber auch zum Beispiel einige Kinderwagen- und Kindersitzhersteller sind noch dabei. Die Unternehmen kommen aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Polen, Dänemark und anderen europäischen Ländern. Die aktuelle Ausstellerliste ist auf unserer Homepage einzusehen. 

CB: Parallel wird es die „Kind + Jugend @home“ geben, eine Art digitale Messe. Was wird hier geboten werden? Und wie viele Unternehmen werden hier mitmachen? 

JS: In diesem Jahr planen wir, digitale Tools anzubieten, damit sich Aussteller auf unserer Website umfassender präsentieren und sich auch digital mit Besuchern vernetzen und austauschen können. Allerdings benötigt eine solche digitale Plattform viel organisatorischen Vorlauf und sie muss an die Bedürfnisse der beteiligten Aussteller angepasst werden. Deswegen sind wir derzeit noch in einer Sondierungsphase, um den besten digitalen Weg für die „Special Edition“ der Kind + Jugend 2021 anbieten zu können.

CB: Wird, wenn es in 2022 hoffentlich wieder eine „Regular Edition“ der Kind + Jugend gibt, diese neue digitale Plattform fortgeführt? 

JS: Für die Zukunft sehen wir das hybride Modell als eine wichtige und notwendige Weiterentwicklung unserer Präsenzmessen an. Kurz gesagt: Die Zukunft ist hybrid. All die Möglichkeiten, die uns die letzten Monate aufgezeigt haben, sind eine Chance, den Messemarkt noch breiter und wirkungsvoller aufzustellen.

Werden Unternehmen weiter in Köln ausstellen? Ja, da sind wir sicher, genauso wie wir sicher sind, dass die Fachbesucher auch in Zukunft nach Köln kommen werden. Aber die Ansprache wird sich über die digitale Plattform vervielfachen und damit auch Menschen an fernen Schreibtischen erreichen, denen der Weg nach Köln bisher zu weit war.

Das ist doch eine hervorragende Perspektive für die international aufgestellte Kind + Jugend, die wir ab 2022 sicher wieder in voller Besetzung erleben werden. 

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