Autokindersitze sind heute eine Selbstverständlichkeit. Kaum zu glauben, dass das erste Modell an eine Luftmatratze erinnerte. Zu den Anfängen und dem aktuellen Stand der Technik haben wir mit Richard Frank von Britax Römer gesprochen.
Das Jahr 2016 ist ein wichtiges Jahr für die Kindersicherheitsbranche. Es ist ein Jahr, das geprägt ist von der Weiterentwicklung der neuen, auch „ i-Size“ genannten, ECE-Norm R129 und der damit verbundenen Entwicklung neuer Produkte. Auch für Britax Römer ist 2016 ein besonderes Jahr, denn das Unternehmen feiert das 50. Jubiläum des ersten Kindersitzes. Für Childhood Business Anlass genug, um mit Richard Frank, Entwicklungsleiter EMEA bei Britax, auf interessante Branchenmeilensteine zurückzublicken.
Childhood Business: Wie kam es eigentlich zur Idee für den ersten Autokindersitz vor fünf Jahrzehnten in Ihrem Haus?
Richard Frank: Der erste Kindersitz wurde im Jahr 1966 von Römer in Deutschland entwickelt. Unser damaliger Entwickler Hermann Wetter hatte die zündende Idee nach einer Familienreise von Wien nach Ulm, die seine neugeborene Tochter lediglich in einem gepolsterten Obstkarton verbrachte. Das Ergebnis war der erste Autokindersitz namens „Lufki“, der auf der Idee einer aufblasbaren Luftmatratze basierte. Nicht lange danach begann Herr Wetter, an einem neuen, besseren Sitz zu arbeiten. Das Resultat nach drei Jahren Entwicklungsarbeit war der ikonische „Peggy“.
CB: Was war Britax ursprünglich für ein Unternehmen, und wie hat es sich entwickelt?
RF: In den 1960er Jahren war Britax in Großbritannien und auch in ganz Europa der führende Lieferant für die Automobilindustrie im Bereich Fahrzeugsicherheitseinrichtungen. Zum Produktportfolio gehörten beispielsweise Bremsen, Sicherheitsgurte, Fahrzeugbeleuchtung und Helme. Die enge Zusammenarbeit mit den größten Automobilherstellern hat sich im Laufe der Jahre bis zum heutigen Tage kontinuierlich fortgesetzt und lieferte uns wichtige Impulse für die Entwicklung unserer Kindersicherheitsprodukte.
CB: Wie verlief die Entwicklung der Kindersitze?
RF: Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Lösungen entwickelt, wie zum Beispiel der 5-Punkt- Gurt. Mit „Peggy“ erfand Britax Römer das Fangkörper-System, das wir ganze 30 Jahre lang am Markt führten. Jedoch gab es innerhalb der Kindersicherheitsbranche in Europa – sowie auch intern bei Britax Römer – immer wieder Diskussionen darüber, welche Technologien am sichersten seien. Obwohl die Fangkörpersitze bis dato gute Testergebnisse aufgewiesen hatten, entschieden wir uns im Jahre 2009, ausschließlich das 5-Punkt-Gurtsystem zu forcieren. Durch die weitergehende Forschung in Zusammenarbeit mit unseren Partnern aus der Automobilbranche und namhaften Testinstituten sind wir heute überzeugt, dass der 5-Punkt- Gurt die bessere Technologie für die Sicherheit des Kindes im Falle eines Unfalls ist.
CB: Welche Befestigungssysteme gibt es noch?
RF: Zum Beispiel Isofix, eine der bedeutendsten Innovationen für verbesserte Kindersicherheit im Auto. Isofix haben wir 1997 in Zusammenarbeit mit Volkswagen entwickelt, um Eltern eine einfachere und vor allem sicherere Möglichkeit zur Befestigung von Kindersitzen zu bieten. Die Einführung von Isofix als Alternative zum gängigen Befestigungssystem mit einem 3-Punkt-Fahrzeuggurt revolutionierte die Branche. Sie führte zu einer deutlichen Minimierung der Fehlbedienungen unter Verbrauchern. Römer reichte das erste Patent für diese Technologie 1984 ein. Im Jahr 1990 stellte der schwedische Verkehrsforscher omas Turbell eine weitere Idee für ein fahrzeugfestes Fixierungssystem für Kindersitze vor. Wenig später wurde eine Forschungs- und Entwicklungsgruppe, bestehend aus unterschiedlichen Vertretern der Branche, der Automobilindustrie und der englischen Regierung, gegründet, die die ersten Schritte zur Entwicklung und Einführung von Isofix begleitete. Die Herausforderung mit Isofix war weniger die Technologie an sich, sondern vielmehr die Schwierigkeit, Autohersteller dafür zu begeistern, für dieses neue Befestigungssystem das Konzept ihrer Fahrzeuge zu ändern. Doch dank der engen Beziehung zu Volkswagen wurde es dann doch erfolgreich umgesetzt.
CB: Wie geht es in der Branche weiter?
RF: Aktuell mit den mehrstufi gen Phasen der i-Size- Regelung, an deren Entwicklung auch unser Haus maßgeblich beteiligt ist. Mit dieser neuen Regelung schaff t der Gesetzgeber verbesserte Voraussetzungen für die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr. Ein guter Seitenaufprallschutz wird Pfl icht, ebenso wie das rückwärtsgerichtete Fahren bis zu einem Alter von mindestens 15 Monaten. i-Size soll gewährleisten, dass Babys und Kinder in Zukunft länger rückwärtsgerichtet und damit um ein Vielfaches sicherer fahren. Bislang wechseln Eltern oft sehr früh, teilweise schon vor dem ersten Geburtstag, in einen Folgesitz.
CB: Wie rüstet sich Ihr Haus für die weitere Zukunft?
RF: 90 Prozent der Autokindersitze werden bei uns aktuell in Europa produziert, 80 Prozent der Sitze sogar in Deutschland. Daher sind wir in der Lage, die Herstellung und die Qualität der Kindersitze laufend zu kontrollieren. Sogar die Produktion der Stoffe für unsere Kindersitze haben wir aus Asien zurück nach Europa geholt. So können wir noch besser kontrollieren, welche Substanzen bei der Herstellung verwendet werden und gefährliche Schadstoffe vermeiden. Bereits Anfang der 1960er-Jahre war Britax Pionier mit eigenen Crash-Test-Anlagen für Fahrzeuggurte. Heute führen wir diese Tradition gezielt weiter und bauen aktuell an unserem neuen europäischen Hauptsitz in Leipheim, zwischen Augsburg und Ulm, eine Best-In-Class-Crash-Test-Anlage, um reale Crash-Situationen nachbilden zu können. Wir investieren, um auch zukünftig Produkte von höchster Qualität zu entwickeln.
CB: Herr Frank, vielen Dank für das Gespräch.