“Die Pandemie ist nicht spurlos an der Industrie vorbeigegangen”

Jörg Schmale ist seit 2017 Projektleiter der Kind + Jugend
Jörg Schmale ist seit 2017 Projektleiter der Kind + Jugend

Childhood Business: Herr Schmale, letztes Jahr wagten Sie mit der Kind + Jugend den “Re-Start”. 2022 stehen die Vorzeichen aktuell hierzulande eigentlich ganz gut. Doch als internationale Leitmesse hängt der Erfolg der Veranstaltung insbesondere vom internationalen Publikum ab. Wie sind hier Ihre Prognosen?

Jörg Schmale: Wir machen gerade stichprobenartig eine Umfrage unter unseren nationalen und internationalen Händlern. Bislang zeichnet sich ab, dass 60 Prozent derjenigen, die wir bisher erreichen konnten, einen Besuch der Kind + Jugend 2022 geplant haben.

In China haben wir allerdings nicht angerufen –  wer von dort nach Europa ausreist, muss anschließend drei Wochen in Quarantäne. Auch sind Interkontinentalflüge derzeit sehr teuer.

Ich gehe daher von einer starken europäischen Veranstaltung aus und freue mich, wenn es auch der ein oder andere Australier oder Amerikaner zur Messe schafft.

CB: Rund 450 Aussteller stehen aktuell auf der vorläufigen Liste. Die Möglichkeit zur kostenfreien Stornierung ist inzwischen ausgelaufen. Mit wie viele Ständen rechnen Sie bis zum Start der Kind + Jugend? 

JS: Ich denke, dass wir bei rund 500 Ausstellern auskommen werden. Viel wichtiger ist mir aber, dass wir sehr gute, bekannte Marken und Unternehmen unter den Ausstellern haben, wie zum Beispiel Britax Römer, Candide, Hartan, Motorola, Recaro, Thule, Trend for Kids, Uppababy – die vollständige Liste ist ja online.

CB: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die weiterhin große Zurückhaltung auf Seiten der Aussteller?

JS: Zwei Jahre Pandemie sind nicht spurlos an der Industrie vorbeigegangen. Es gab einen nicht unerheblichen Umsatzeinbruch vor allem bei der Hartware in 2020, auch aktuell gibt es aufgrund der Inflation eine starke Zurückhaltung beim Kauf neuer Babyartikel.

Viele Aussteller haben ihre Kunden in Asien oder den USA – und haben von diesen gehört, dass sie aus den erwähnten Gründen eher nicht nach Köln kommen werden.

CB: Auch wenn Sie sich sicherlich in Zurückhaltung üben wollen – sind Sie nicht eigentlich etwas enttäuscht, dass aus Deutschland. immerhin dem Heimatland der Messe, gerade mal 48 Zusagen zur Kind + Jugend vorliegen?

JS: Bei der Kind + Jugend waren die deutschen Aussteller schon immer in der deutlichen Minderheit. 2019 lag der Anteil der deutschen Unternehmen bei elf Prozent – und genau da liegt er jetzt auch.

CB: 2019 war, am Umsatz gemessen, ein Rekordjahr der Koelnmesse. Dann fielen die Einnahmen von 314 Mio. Euro auf 94 Mio. Euro. 2021 lag dieser bei knapp 135 Mio. Euro. Sind bei den hohen Aufwendungen für die Kind + Jugend für dieses Jahr schwarze Zahlen zu erwarten? 

JS: Wenn wir nur auf die reinen Zahlen sehen würden, hätten wir einen Re-Start unserer Veranstaltungen gar nicht in Betracht ziehen dürfen. Wir werden auch in diesem Jahr nicht das Ergebnis erzielen, dass wir uns einmal erhofft hatten.

Viele Unternehmen sagen uns aber, sie wollen wieder Messe machen, sie wollen endlich wieder den persönlichen Austausch – von daher sind wir sehr optimistisch, dass es, wenn auch langsam, wieder aufwärts geht. Das belegen übrigens auch die gerade stattgefundenen Messen auf unserem Gelände.

CB: Wie wird sich das Messegeschehen im Bereich der Baby- und Erstausstattung in den kommenden Jahren entwickeln, sagen wir mal unter der Voraussetzung, dass sich das Coronageschehen in den Griff bekommen lässt? Wird die Kind + Jugend zu alter Größe zurückkehren oder sehen Sie eine Abflachung vor dem Hintergrund der großen Fragen wie Welthandel, Lieferketten und Klimakrise? 

JS: Die Aussagen unserer Aussteller, auch derjenigen, die in diesem Jahr noch nicht wieder dabei sind, sind da sehr eindeutig: die Branche braucht eine internationale Plattform, wo Handel und Industrie zu einem persönlichen Austausch zusammenkommen. Die Kind + Jugend bietet diese Plattform.

Sicherlich werden die Stände nicht mehr so groß sein – das müssen sie auch gar nicht. Viel wichtiger ist, dass der Händler hier alle seine Lieferanten und der Hersteller alle seine internationalen Kunden persönlich treffen kann.

CB: Welchen Stellenwert hat für Sie eigentlich eine digitale Plattform als Ergänzung und zur Not als Ersatz einer Messe wie der Kind + Jugend? 

JS: Unsere bisherigen hybriden Veranstaltungen – und die Kind + Jugend Re-Start Edition in 2021 war die erste – haben gezeigt, dass das Digitale in den Hintergrund tritt, sobald eine Messe physisch stattfindet. Daher überlegen wir gerade sehr genau, welchen digitalen Produkte einen echten Mehrwert für die Ausstellung bieten.

Geeignete Netzwerkfunktionen, mit denen man online wie auch vor Ort den richtigen Ansprechpartner über zwei Klicks kontaktieren kann, gehört beispielsweise dazu. Ich gehe übrigens nicht davon aus, dass es noch einmal zu einem Verbot von Veranstaltungen kommt.

CB: Halten Sie Ihr Haus in dieser Beziehung, nach zwei Jahren Krise, für ausreichend gut aufgestellt? Oder was würden Sie sich an dieser Stelle wünschen? 

JS: Selbstverständlich haben wir die Krise genutzt, um unsere Prozesse zu hinterfragen und teilweise neu aufzusetzen. Diese Phase ist auch noch nicht abgeschlossen. Das wieder erstarkende  Veranstaltungsprogramm zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Manchmal würde ich mir ein wenig mehr Geduld bei dem ein oder anderen wünschen, weil manche Dinge eben nicht sofort bei 100 Prozent sind, sondern Zeit und Reflexion benötigen.

CB: Zahlreiche Hersteller haben in digitale Showrooms, hybride Präsentationen und elektronische B2B-Stores investiert. Plattformen wie “Ankerstore” werden geschätzt, um Produktentdeckungen zu machen. Auch Kunden, die die digitale Ansprache lange ablehnten, scheinen eine neue Bequemlichkeit entdeckt zu haben. Während manche Wettbewerber  hier Lösungen anbieten, ist mir aus Ihrem Haus nichts bekannt. Liegt darin nicht eine Gefahr, dass eines Tages andere Dienstleister das Networking-Treiben an sich ziehen können?

JS: Wenn reine digitale Messen erfolgreich wären, dann hätte das schon vor der Corona-Pandemie das Aus für die Messelandschaft bedeutet. Wie ich schon andeutete, sehnt sich der überwiegende Teil unserer Branche mindestens einmal im Jahr nach einem persönlichen Austausch. Und für die Zeit dazwischen entwickeln wir gerade Tools, um das Networking auch unterjährig auf einen hohen Niveau zu halten.

CB; Noch einmal zurück zum Herbst 2022. Was wird die Fachbesucher erwarten? Und worauf freuen Sie sich selbst am meisten?

JS: Die Fachbesucher wird ein bunter Mix aus wichtigen Marken und kleinen, aber sehr interessanten Anbietern mit sehr sehenswerten Produkten erwarten. Hier lohnt sich in jeden Fall auch ein Besuch der Start-Ups und der jungen innovativen Unternehmen aus Deutschland.

Sehr gespannt dürfen sie zudem auf den Innovation Award sein, der erstmalig auch in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ vergeben wird. Ich selbst freue mich neben diesem Award vor allem darauf, viele Kunden nach drei Jahren zum ersten Mal wieder persönlich treffen zu können.

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